Bevor wir zu den Coaching-Fragen kommen, eine Ankündigung:
Am Dienstag, um 17:00 veranstalten Scrum.org mit Marc und mir einen Webcast zu Karrierepfad für Scrum Master. Dort beantworten wir diese Fragen:
- Wie sieht eine Karriere als Scrum Master aus?
- Verdiene ich als Agile Coach mehr als als Scrum Master?
- Bin ich als externer Berater wirksamer als interner Scrum Master?
- Kann ich als Scrum Master disziplinarische Führung übernehmen, oder führt das unweigerlich zu einem Rollenkonflikt?
- Ab welcher Position im Unternehmen ist eine PSM-III-Zertifizierung unabdingbar?
- Wann lohnt sich eine Trainer- oder eine Coaching-Ausbildung?
Hier geht es zur Anmeldung. Und nun zum Artikel und der Frage:
Was bedeutet es, ein Servant Leader zu sein?
Ich muss zugeben, das war mir lange als Scrum Master nicht bewusst. Als ich meine Position als Product-Owner aufgab und als Scrum Master Teams unterstützte, dachte ich, ich wüsste bereits alles, worauf es bei agiler Produktentwicklung ankommt.
Dementsprechend selbstsicher war mein Auftreten.
Jede Frage, die sich das Team zu Scrum oder agiler Produktentwicklung stellte, habe ich sofort beantwortet. Schließlich war ich der Experte dafür. Traf das Team auf ein Hindernis in der Entwicklung, stellte ich dem Team sofort die Frage: Warum konnte das auftreten? Ich wollte dem Problem gleich auf den Grund gehen. Vielleicht hatte jemand im Team ja Scrum noch nicht verstanden. Damit das Team auf Kurs blieb, fragte ich den Fortschritt im Stand-up mit der Frage ab: Hast du die Task gestern abgeschlossen?
Schließlich erwartete meine Führungskraft, dass ich das Team im Griff habe und es manage.
Meine Einstellung änderte sich im Jahr 2018 schlagartig.
In diesem Jahr besuchte ich das fortgeschrittene Scrum-Master-Training in Amsterdam. (Dieses Training war der Vorgänger des heutigen „PSM-A“ der Scrum.org.) Im Training erkannte ich, dass es zwei sehr unterschiedliche Dinge sind, Scrum Experte zu sein oder Scrum Master zu sein.
- Scrum Experten wissen auf alles eine Antwort.
- Sie fragen stets nach den Gründen für Probleme.
- Diese Experten managen ihr Team.
Scrum Master hingegen sind Servant Leader. Sie dienen ihrem Team, …
- indem sie ihm den Freiraum schaffen, seine Arbeit selbst zu managen.
- indem sie nicht im Problem verharren, sondern sich auf das Ziel konzentrieren.
- indem sie eingestehen, wenn sie keine Antwort wissen und auf die Intelligenz des Teams angewiesen sind.
Kurzum: Scrum Master führen auf Augenhöhe.
Wie führen Scrum Master auf Augenhöhe?
Sie stellen bessere Fragen.
Für mich war es der Weg vom „Experten“ zum Servant Leader. Besser zu fragen, klingt erst mal banal. Allerdings kannst du nur bessere Fragen stellen, wenn sich deine Einstellung auch ändert. Rückblickend kann ich sagen: Mir haben Fragen dabei geholfen, jedem im Team auf Augenhöhe zu begegnen.
Wie lässt sich der Coaching-Fragen-Muskel trainieren?
Mein Vorgehen, besser Fragen zu stellen
Es besteht aus drei Schritten:
- Klauen
- Probieren
- Reflektieren
Erst mal müssen wir Fragen klauen, die wir auch stellen können. Deshalb besteht der erste Schritt darin, Fragen von anderen zu klauen. Hier einige der Bücher, aus denen ich die meisten Fragen geklaut habe:
- Coaching Agile Teams von Lyssa Adkins
- Agile Teams lösungsfokussiert coachen von Veronika Kotrba und Ralph Miarka
- Coaching Questions von Tony Stoltzfus
- Motivierende Gesprächsführung von William Miller und Stephen Rollnick
Im nächsten Schritt geht es darum, die Fragen auch zu stellen. Du musst sie ausprobieren. Am Anfang habe ich meistens vergessen die Fragen zu stellen, deshalb habe ich irgendwann angefangen, mir zur Vorbereitung auf eine Retrospektive oder ein Einzelgespräch eine Frage, die ich probieren wollte, auf meinen Handrücken zu notieren – quasi als Erinnerung.
Was uns zum letzten Schritt bringt:
Wir lernen nichts, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, zu reflektieren. Deshalb habe ich mir nach dem Termin kurz Zeit genommen und mich gefragt:
- Was hat diese Frage im Gespräch ermöglicht?
- Was hat diese Frage im Gespräch verhindert?
Diese beiden Fragen helfen mir, meine Fragetechniken zu verbessern, indem ich mir Gedanken mache, was ich beim nächsten Mal anders machen würde – und es dann auch anders mache.
Willst du auch den Coaching-Fragen-Muskel trainieren? Dann findest du nun eine Liste meiner 10 Lieblingsfragen mit Erklärung – zum Klauen und Anfangen ...
Frage #1: Was geht dir durch den Kopf?
Meine liebste Frage zum Einstieg in ein Gespräch.
Sie lädt ein, eine Beobachtung, Erfolge, Probleme – einfach alles, was einem durch den Kopf geht, – zu teilen. Eine etwas persönlichere Variation lautet:
Was hast du auf dem Herzen?
Da die Frage sehr persönlich oder bemutternd wahrgenommen werden kann, nutze ich sie nur in sehr persönlichen Gesprächen.
Frage #2: Was willst du erreichen?
Das ist die Grundfrage schlechthin.
Anstatt nach dem „Warum“ zu fragen, was zu Rechtfertigung führen kann, führt diese Frage zum „Wozu“. Deshalb lautet eine Folgefrage zu dieser Frage auch direkt:
Wozu willst du das erreichen?
Die Antwort auf die Frage drückt meistens einen Wunsch, einen erstrebenswerten Zustand oder ein Ziel aus.
Frage #3: Was ist für dich die eigentliche Herausforderung?
Diese Frage hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Ich nutze sie häufig in Kombination mit der Frage: „Was willst du erreichen?“ Nachdem wir ein Ziel kennen, stellen wir uns die Frage, was uns vom Erreichen abhält. Da für die konkrete Situation die Lösung wichtig ist, frage ich speziell nach: „für dich“.
Frage #4: Woran erkennst du Fortschritt?
Veränderung kann schnell frustrieren.
Immer dann, wenn wir keinen Fortschritt erkennen. Diese Fragen helfen, Fortschritt sichtbar zu machen:
- Woran erkennst du Fortschritt?
- Woran erkennst du erste Erfolge?
- Woran erkennst du Erfolg?
- Was ist dann anders, wenn du diese Herausforderung überwunden hast?
Besonders die letzte Frage stärkt die Motivation zur Umsetzung.
Frage #5: Wie hast du es bisher geschafft?
Wenn eine Situation sehr ausweglos erscheint, dann helfen diese Fragen, um auf die Ressourcen zuzugreifen:
- Wie hast du es bisher geschafft?
- Was gibt dir (bisher) Kraft?
- Was war bei anderen Herausforderungen hilfreich?
Und jetzt nicht aufgeben:
Frage #6: Und was noch?
Diese Frage liefert weitere Optionen.
Sie hilft, mehr als nur das Offensichtliche zu betrachten. Sie lädt zu Kreativität ein. Und mehrere Optionen verbessern die Qualität von Entscheidungen.
Trau dich, diese Frage in Gesprächen ruhig mehrmals zu stellen:
- Was noch?
- Und was noch?
- Spannend. Was noch?
Frage #7: Wie kann ich helfen?
Diese Frage hat es in sich.
Sie half mir, aus der Experten-Haltung in die Haltung eines Unterstützers auf Augenhöhe zu kommen. Denn sie bringt auf subtile Art die andere Person dazu, eine Lösung vorzuschlagen, ohne dass ich selbst eine Lösung vorschlagen muss.
Frage #8: Was war für dich nützlich?
Diese Frage lädt zur Reflexion ein.
Sie schafft einen kurzen Lernmoment. Du kannst sie am Ende eines Gesprächs nutzen oder wenn du deinem Gegenüber einen Rat gibst oder aus deiner Erfahrung berichtest. Bevor du deine Sichtweise teilst oder einen Rat gibst, nutze:
- Interessiert dich, wie ich die Situation beurteile?
- Darf ich dir einen Rat geben?
Frage #9: Wenn du Ja sagst, wozu sagst du dann Nein?
Diese Frage kannst du nutzen, um den Umsetzungswillen zu prüfen.
Sie hilft, sich zu vergewissern, dass sich jemand wirklich für eine Entscheidung einsetzt. Sie verhindert eine halbherzige Zustimmung. Aber Achtung: Sie kann auch dazu führen, dass die Person ihren Entschluss verwirft, da sie neue Hindernisse für sich ausmacht.
Zum Abschluss noch die Coaching-Frage schlechthin:
Frage #10: Auf einer Skala von 0 bis 10 – wie zuversichtlich bist du?
Die ausführliche Version:
Auf einer Skala von 0 bis 10 – wobei 10 bedeutet, dass du sehr, sehr zuversichtlich bist, das Vereinbarte auch umzusetzen, und 0 bedeutet, dass du es für nahezu unmöglich hältst, – wie zuversichtlich, würdest du sagen, bist du derzeit, dass du XYZ umsetzt?
Wenn die Antwort etwa 5 ist, dann kannst du mit dieser Frage anschließen:
Was braucht es, damit du zu einer 6 gelangst?
Und hieran dann mit Frage 3 und Frage 5 usw.
Worauf ich rauswill: Auch wenn ich die Fragen mit 1 bis 10 durchnummeriert habe, war nicht gemeint, dass du sie nur in dieser Reihenfolge stellen kannst.
Willst du diese Fragen üben?
Dann besuche das nächste „Professional Scrum Master – Advanced“-Training. Dort hast du viele Möglichkeiten, deinen Coaching-Fragen-Muskel zu trainieren. Mehr noch: Marc und ich zeigen dir, wie du Konflikte und Gruppendynamiken erfolgreich navigierst.
Über 270 Scrum Master sind unserer Empfehlung bereits gefolgt, haben sich das Professional-Scrum-Master-II-Zertifikat gesichert und sind den nächsten Schritt in ihrer Karriere gegangen.
Noch unsicher, ob das Training zu dir passt?
Dann wirf einen Blick auf dieses Video – es gibt dir einen guten Einblick, was dich erwartet: