Was hiervon ist Leadership?
Eine inspirierende Vision zu entwerfen? Revolutionäre Produkte zu entwickeln? Mit Budgetplänen und Finanzreports den Erfolg des Unternehmens zu verfolgen? Oder einfach stets den Status quo zu hinterfragen?
Nichts davon.
Denn all das kann eine Person allein tun. Führung hingegen ist ein gemeinsamer Prozess, der Menschen zum Erfolg führt. Deshalb besitzen erfolgreiche Führungskräfte die wiederholbare Fähigkeit, schnelle, tiefgreifende und nachhaltige Verhaltensänderungen zu bewirken.
„Am Ende des Tages ist Führung gezielte Einflussnahme. Wenn sich Verhalten nicht verändert, führst du nicht.“
So bringen es die Experten für Leadership Grenny, Patterson, Maxfield, McMillan und Al Switzler in ihrem New-York-Times-Bestseller Crucial Influence auf den Punkt. Die Worte „gezielte Einflussnahme“ stoßen sauer auf. Sollten Scrum Master nicht absichtslose oder dienende Führungskräfte sein?
Agile Coaches verbreiten gerne diesen Irrglauben.
Mit der Auswirkung, dass Scrum Master von Unternehmen als Führungskräfte eher belächelt werden und ihr Wert selten gesehen wird. Willst du in deinem Unternehmen als Führungskraft geschätzt werden? Dann besteht der erste Schritt darin, zu akzeptieren, dass du gezielt Einfluss nehmen musst. Lass uns nun gemeinsam drei Erkenntnisse besprechen, die dir dabei helfen, langfristige (Verhaltens-)Veränderungen zu bewirken.
Erkenntnis #1: Wenn du Verhalten verändern willst, brauchst du ein Modell, das Zusammenhänge sichtbar macht.
Was ist Organisationsentwicklung letzten Endes?
Die ersten Jahre meiner Karriere habe ich mich ausschließlich mit Produktentwicklung beschäftigt. Und lange war Produktentwicklung eine Blackbox für mich. Der Knoten ist geplatzt, als ich das Logik-Modell der Kellogg Foundation verstanden habe.
Damit lässt sich Produktentwicklung auf fünf Faktoren vereinfachen:
- Inputs sind die Ressourcen, die wir in die Entwicklung investieren. Beispiele: Zeit, Budget, Teamkapazität, vorhandene Technologien, externe Expertise.
- Aktivitäten sind die konkreten Maßnahmen und Arbeitsprozesse, die wir durchführen. Beispiele: User-Research, Design-Workshops, Entwicklung von Features, Testen, Go-live setzen.
- Outputs sind die greifbaren Ergebnisse der geleisteten Arbeit. Beispiele: ein neues Dashboard-Feature, ein verbesserter Onboarding-Prozess, ein überarbeitetes Interface, ein Release-Update.
- Outcomes beschreiben beobachtbare Verhaltensänderungen bei Nutzern durch den Output. Beispiele: 70 % der Nutzer nutzen das neue Dashboard täglich, 40 % schließen den Onboarding-Prozess schneller ab.
- Impacts drücken die Wirkung der Outcomes auf das Unternehmen aus. Beispiele: steigende Nutzerbindung, höhere Conversion-Rate, reduzierte Supportanfragen.
Kennen wir diese fünf Faktoren, dann können wir die Zusammenhänge zwischen ihnen studieren. Der Knoten platzte, als ich realisierte, dass es bei Produktentwicklung um Verhaltensänderungen unserer Nutzer geht, die sich positiv auf das Unternehmen auswirken.
Die letzten Jahre habe ich mich viel mit Veränderungsprozessen beschäftigt.
Und lange Zeit waren auch Veränderungsprozesse eine Blackbox für mich. Das änderte sich erst, als ich verstand, dass Produktentwicklung und Unternehmensveränderung nicht grundverschieden sind. Ganz im Gegenteil: Am Ende geht es auch hier um Verhaltensänderung. Nur diesmal nicht bei Kunden, sondern bei Mitarbeitern. Veränderungsprozesse im Unternehmen zu gestalten, bedeutet somit – nutzen wir das Logik-Modell – auch nicht mehr als Outputs zu finden, die für das Unternehmen wünschenswerte Outcomes bei den Mitarbeitern erzeugen.
Es geht um gezielte Einflussnahme.
Wie du so gezielt Einfluss nehmen kannst, habe ich vor einigen Jahren in meinem Artikel „Das Lean-UX-Canvas am Beispiel eines Nicht-Softwareprodukts“ beschrieben.
Hier ein Beispiel zusammengefasst:
Problemstellung: Die Personalabteilung unterstützt Fachbereiche unzureichend bei schnellen und passenden Einstellungen.
- Output: Mitarbeiter der Personalabteilung absolvieren einen ML- und KI-Einführungskurs.
- Outcome: Fachbereiche verbringen weniger Zeit mit Vorstellungsgesprächen und empfinden die Zusammenarbeit als hilfreicher.
- Impact: Die Zufriedenheit mit der Personalabteilung steigt, was Innovation und Wachstum im Unternehmen beschleunigt.
Zusammenfassend: Wenn du Verhalten verändern willst, brauchst du ein Modell, das Zusammenhänge sichtbar macht.
Genau das liefert die Produkt-Denkweise – auch für Veränderungsprozesse. Sie hilft dir, gezielt Outputs zu gestalten, die gewünschte Outcomes erzeugen.
Erkenntnis #2: Verhalten folgt Messung.
Beginnen wir mit einer Geschichte, bei der das schiefgeht:
Anfang des 20. Jahrhunderts, während der britischen Kolonialherrschaft in Indien, gab es eine Schlangenplage.
Um die Zahl der Kobras zu verringern, setzten die britischen Kolonialherren ein Kopfgeld auf jede getötete Kobra aus. Findige Inder begannen daraufhin, Kobras zu züchten und sie für das Kopfgeld zu töten. Als die Behörden dies bemerkten und das Kopfgeld aufhoben, ließen die Züchter die Schlangen frei, was die Plage verdreifachte.
Diese Geschichte ist als die Kobra-Geschichte bekannt.
Worin besteht jetzt der Zusammenhang zwischen der britischen Kolonialherrschaft und Leadership?
In der Geschichte sind Ziele (die Schlangenplage eindämmen und Geld verdienen), Anreize (das Kopfgeld) und Verhaltensweisen (Kobras züchten oder töten) eng miteinander verknüpft. Mehr noch: Sie zeigt, dass bei der Änderung eines Elements die anderen Elemente ebenso betroffen sein können.
Meine Erkenntnis aus der Geschichte: Führungskräfte tun gut daran, den Effekt zu kennen. Mehr noch: Sie sollten ihn zur gezielten Einflussnahme nutzen. Durch das Setzen von Zielen und das Messen von Ergebnissen lässt sich Verhalten beeinflussen.
Einige Beispiele:
- Möchtest du, dass mehr Story-Points pro Sprint geschafft werden, dann solltest du die Story-Points pro Sprint messen.
- Willst du, dass den Nutzern regelmäßig wertvolle Software bereitgestellt wird, dann solltest du die Releases messen.
- Möchtest du, dass mehr Mitarbeiter an internen Trainings teilnehmen, dann solltest du die Teilnahmequote an den Trainings messen.
- Möchtest du, dass sich Teammitglieder häufiger Feedback geben, dann solltest du die Anzahl und Frequenz dokumentierter Feedbackgespräche messen.
- Willst du, dass neue Entwickler schneller einsatzbereit werden, dann solltest du die Zeit bis zu ihrem ersten Commit messen.
Zusammenfassend: Verhalten folgt Messung.
Wer nichts misst, kann nichts beeinflussen. Leadership beginnt bei der bewussten Kopplung von Zielen, Metriken und gewünschtem Verhalten.
Erkenntnis #3: Einflussnahme braucht Raum – und Erwartung.
Damit gezielte Einflussnahme – also Führung – gelingt, muss genug Freiraum gegeben werden.
Das lesen wir überall. Der Tenor ist: Wird Freiraum gegeben, dann nehmen sich die Mitarbeiter diesen und übernehmen Verantwortung. Mir gefällt dieses durchweg positive Menschenbild. Und im Herzen will ich das auch glauben und nehme es immer zuerst an. Allerdings zerbricht dieser Glaube häufig an der Wirklichkeit.
In den letzten Jahren wurde ich mehrmals als Berater beauftragt, Teammitglieder zu befähigen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das Spannende an diesen Aufträgen: Bei allen wurde ich von der Führungskraft beauftragt. Ich möchte jetzt nicht so weit gehen und sagen, dass sie Schwierigkeiten hatte, ihren Job zu erledigen. Was wir aber schon aus diesen Aufträgen schließen können: Mitarbeiter zu motivieren, mehr Verantwortung zu übernehmen, ist eine Aufgabe von Führungskräften.
Hierzu habe ich bisher immer das Delegation-Board und Delegation-Poker genutzt.
Es zeigt, wie wir im Team und darüber hinaus bewusst klären können, wer welche Entscheidungen trifft, wer welche Verantwortung übernimmt oder übernehmen sollte.
Hier ein Beispiel aus meinem Workshop für ein Transformationsteam:
Das Delegation-Board hilft dabei, explizit zu machen:
- Wo wird Verantwortung bewusst gegeben?
- Wo wird sie eingefordert?
- Und wo muss sie vielleicht noch klarer verhandelt werden?
Unterm Strich gibt das Board dir Anhaltspunkte, wo du noch gezielt Einfluss nehmen kannst.
Zusammenfassend: Einflussnahme braucht Raum – und Erwartung.
Freiraum allein genügt nicht. Führungskräfte müssen auch Verantwortung einfordern und Entscheidungen bewusst abgeben.
Zum Abschluss: Leadership heißt für Scrum Master, gezielt Verhalten in der Organisation zu verändern.
Dabei reicht es nicht, auf Inspiration oder Freiwilligkeit zu hoffen. Erfolgreiche Scrum Master nutzen konkrete Hebel: Sie denken in Produkten (auch bei Veränderung), verknüpfen Ziele mit Metriken und gestalten bewusst den Rahmen für Verantwortung. Wer diesen Führungsanspruch annehmen will, braucht Mut – und Methoden.
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