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3 harte Lektionen, die ich beim Interviewen von Kunden gelernt habe

April 14, 2023

Ich war schon immer ein großer Verfechter davon, dass Expertise mit Erfahrung gleichzusetzen ist.

Ich glaube, nur wenn ich Situationen selbst erlebt habe, kann ich mich als Experten bezeichnen. In den vergangenen 9 Jahren habe ich mit vielen Scrum Teams in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen zusammengearbeitet. Diese Erfahrungen haben mich gelehrt, wann Methoden und Techniken funktionieren und wann nicht. Dies gebe ich auch in meinen Trainings weiter.

Jedoch ...

… ist es gefährlich, Ratschläge zu geben, ohne mich für die Situation meiner Kunden zu interessieren.

Ich bin jedes Mal aufs Neue erstaunt, wenn ich mich mit Product Ownern, Coaches, Beratern und Marketern unterhalte und feststelle, wie wenig sie über ihre Kunden wirklich wissen. Sie glauben, sie wüssten viel über sie, aber wenn wir ehrlich sind, projizieren sie nur ihre eigenen Erfahrungen auf die Situation ihrer Kunden, ohne dies jemals zu hinterfragen.

Sie verwechseln Meinungen mit Tatsachen.

Früh in meiner Karriere hatte ich das Glück, von einem erfahrenen Product Owner zu lernen, wie wichtig der ständige Nutzer- und Kundenkontakt ist. Um das Gefühl für die Situation seiner Kunden nicht zu verlieren, hat er jede Woche drei Kundeninterviews durchgeführt. Sein Kalender war jeweils Montag, Mittwoch und Freitag von 10 bis 11 Uhr für Kundenbefragungen reserviert. Eine Aussage von ihm, die mir im Gedächtnis geblieben ist: „Wenn ich eine Idee habe, gleiche ich sie erst mal mit der Realität bei unseren Kunden ab.“

Leider muss ich mir eingestehen, dass ich das Gespräch mit Kunden in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt und mich nur auf meine Erfahrung verlassen habe. Deshalb habe ich mir im Sommer 2022 vorgenommen, dies zu ändern. Seither lade ich die Teilnehmer jedes „Professional Scrum Facilitation Skills“-Trainings im Anschluss zu einem 30-minütigen Interview ein.

Bis heute habe ich über 30 Teilnehmer befragt. Dabei musste ich 3 harte Lektionen über Interviews lernen, die ich zu drei konkreten und leider sehr ungeeigneten Fragen zuordnen kann:

  • Lektion 1: „Ich habe eine Idee, was hältst du davon?“
  • Lektion 2: „Was würde das Training besser machen?“
  • Lektion 3: „Welches Problem hält dich nachts noch wach?“

Lass uns nun die Fragen Schritt für Schritt besprechen, damit ich die Lektionen, die ich daraus gelernt habe, weitergeben kann:

Lektion 1: „Ich habe eine Idee, was hältst du davon?“

Seit Jahren beobachte ich die Zahl der „Professional Scrum Master“-Zertifizierten.

Dabei scheint sich ein Trend abzuzeichnen. Mehr Scrum Master bestehen die „Professional Scrum Master 3“-Zertifizierung. Diese Zertifizierung ist eigentlich für „Professional Scrum Trainer“-Kandidaten gedacht. Die Zertifizierung stellt eine der Prüfungen zum Professional Scrum Trainer dar. Die Anzahl der bestandenen Prüfungen übersteigt allerdings bei Weitem die Anzahl der Kandidaten und neuen Trainer. Daraus schlussfolgere ich:

Es könnte lukrativ sein, Scrum Master auf ihrem Weg zum Professional Scrum Master 3 zu unterstützen.

Im Januar 2022 habe ich deshalb angefangen, den Teilnehmern am Ende jedes „Professional Scrum Master“-Trainings von dieser Idee zu erzählen und sie zu fragen, was sie davon halten. Bis zum August 2022 habe ich etwa 200 Personen angesprochen und die meisten waren begeistert von meiner Idee und versicherten mir, dass sie an meinem Programm auf jeden Fall teilnehmen wollen. Bestärkt durch die positiven Rückmeldungen habe ich im Sommer 2022 den Plan gefasst, ein solches Programm im Januar 2023 anzubieten. Innerhalb einer Woche habe ich die Details ausgearbeitet und am 9.8.2022 eine Landingpage veröffentlicht.

Das Resultat:

Seither haben sich 10 Menschen auf die Warteliste meines PSM3-Bootcamps eingetragen.

Ich brauche dir nicht zu sagen, dass ich mir eine stärkere Resonanz erhofft habe und wie sehr die Woche im Sommer eine Zeitverschwendung war.

Was habe ich falsch gemacht?

Die Antwort auf diese Fragen habe ich im Buch „Der Mom Test“ von Rob Fitzpatrick gefunden:

„Man sagt, dass Sie niemals Ihre Mutter fragen sollten, ob Ihre Geschäftsidee gut ist, denn sie liebt Sie und wird deswegen lügen. Stimmt, verfehlt aber das eigentliche Argument! Sie sollten niemanden fragen, ob Ihre Geschäftsidee gut ist. Diese schlecht formulierte Frage fordert die Leute implizit dazu auf, Sie zumindest teilweise anzulügen.“

Genau das habe ich gemacht.

Ich habe die potenziellen Kunden gefragt, ob sie die Idee gut finden. Ich habe also die falsche Frage gestellt. Ich fragte:

„Ich spiele mit dem Gedanken, ein Boot Camp für Scrum Master zu erstellen, dass dich auf die ‚Professional Scrum Master 3’-Prüfung vorbereitet. Würdest du daran teilnehmen wollen?“

Da ich nicht glaube, dass mich die Befragten tatsächlich vorsätzlich angelogen haben, muss ich einen anderen Fehler gemacht haben. Der Fehler, den ich gemacht habe, ist noch schlimmer! Ich habe es ihnen so einfach gemacht, Ja zu sagen, dass sie mich nicht einmal anlügen mussten. Meine Frage war so unverbindlich, dass jeder dazu Ja sagen konnte. Darin lag der wahre Fehler!

Diese Lektion ist doppelt bitter für mich.

Und zwar nicht nur, weil mir bewusst wurde, dass ich letzten Sommer eine Woche meiner Zeit verschwendet habe, sondern auch, weil ich ein wichtiges Prinzip nicht beachtet habe, welches ich im „Professional Scrum mit UX“-Training selbst lehre:

„Surfe die Wahrheitskurve.“

Die Wahrheitskurve legt uns nahe, dass wir beim Bewerten unserer Ideen immer nur einen Schritt nach dem anderen gehen sollten. Um zu bestätigen oder zu widerlegen, dass unsere Idee wirklich das Potenzial für ein Produkt hat, müssen wir uns auf der Wahrheitskurve bewegen. Wenn wir einen Schritt überspringen, dann befinden wir uns schnell unterhalb der Kurve. Also nach dem Interview sollte man erst eine Umfrage, dann eine Landingpage und erst dann eine Preorderpage erstellen und nicht gleich vom Interview zur Preorderpage springen. Dadurch habe ich mich außerhalb der Wahrheitskurve bewegt und alles unterhalb der Kurve ist risikoreich und kann zu Fehlinvestitionen von Geld und Zeit führen. So wie in meinem Fall.

Mehr über die Wahrheitskurve kannst du hier nachlesen.

Die Lektion: Wenn dir Kunden erzählen, was sie in der Zukunft machen werden, dann sind es meist überoptimistische Übertreibungen. Mache es ihnen nicht zu einfach, zu lügen!

Wenn ich heute eine Idee mit Kunden bespreche, dann stelle ich Fragen wie:

  • „Würdest du Y Euro für X ausgeben, um Z zu erreichen?“
  • „Bist du bereit, X auszugeben, um Z zu erreichen?“

Lektion 2: „Was würde das Training besser machen?“

Das „Professional Scrum Facilitation Skills“-Training ist als ein eintägiges Onlinetraining konzipiert.

Es unterstützt Scrum Master dabei, eine Umgebung zu schaffen, in der das Team an schwierigen Problemen arbeiten kann, zu Entscheidungen kommt und sich gleichzeitig jeder im Team einbringen kann. Und das Ganze in einer Situation, in der jeder von Zuhause aus arbeitet und die Werkzeuge, die wir aus dem Büro kennen, nicht mehr zur Verfügung stehen. Deshalb habe ich die Schulung als eintägigen Workshop für 12 Teilnehmer angeboten.

Die ersten Termine im Herbst waren alle restlos ausgebucht.

Ein häufiges Feedback nach jedem Training der Teilnehmer: „Dem Training gebe ich 9 von 10 Punkten.“ Auf die Frage: „Was würde das Training besser machen?“, bekam ich die Antwort: „Eine volle 10 gäbe es, wenn das Training auf zwei Tage verteilt wäre und in Präsenz stattfindet.“ Den ersten Punkt wollte ich besser verstehen. Deshalb habe ich in den Interviews nach dem Training die Teilnehmer genau zu diesem Punkt befragt. Ich wollte verstehen, warum sie lieber zwei Vormittage oder zwei Nachmittage als Trainingsformat besuchen würden. Eine der häufigsten Antworten lautete, dass sie dann nicht ganz aus dem Arbeitsalltag gerissen werden würden und keine Arbeit liegen bleiben würde. Da ich diese Punkte als glaubhaft erachtete, änderte ich meine Strategie.

Im Januar bot ich das Training über zwei Tage verteilt an.

Ein Bild, das Tisch enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Dafür haben sich 6 Personen angemeldet.

Natürlich kann es dafür viele Gründe haben. Am Ende des Jahres wollten viele ihr Schulungsbudget aufbrauchen, damit es nicht verfällt. Im Januar ist noch kein Budget für Schulungen freigegeben, da die Jahresgespräche erst anstehen. Steigende Lebenshaltungskosten führen dazu, dass die Ausgaben für Weiterbildungen nicht so leichtfallen. Und nur für sich genommen glaube ich nicht, dass ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Anmeldungen und der Anzahl der Trainingstage besteht. Allerdings habe ich auch auf die andere Rückmeldung der ehemaligen Teilnehmer im Training reagiert und biete das Training als eintägiges Training in München vor Ort an. Für den Präsenztermin haben sich fünf Wochen vor dem Termin auch erst drei Personen registriert.

Was lerne ich daraus?

Beim Befragen von Kunden sollte ich ihre Antworten nicht für bare Münze nehmen und alle Verbesserungen blind umsetzen. Ich glaube, Kunden schlagen nur Lösungen für ihre Probleme vor, die sie bereits kennen.

Steve Jobs hat dies bereits früh erkannt und es wurde in seiner Biografie von Walter Isaacson auf den Punkt gebracht:

„Manche Leute sagen: „Gib den Kunden, was sie wollen.“ Aber das ist nicht mein Ansatz. Unsere Aufgabe ist, herauszufinden, was sie in der Zukunft wollen werden, bevor sie es überhaupt tun. Ich glaube, Henry Ford hat einmal gesagt: „Wenn ich die Kunden gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie mir gesagt: ‚Ein schnelleres Pferd!‘“ Die Menschen wissen nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt. Deshalb verlasse ich mich nie auf die Marktforschung. Unsere Aufgabe ist es, Dinge zu lesen, die noch nicht auf dem Papier stehen.“

Die Lektion:

Um innovative Verbesserungen für mein Produkt zu finden, ist es wichtig, beim Interviewen herauszufinden, warum Leute diese bestimmte Lösung möchten. Und hierbei nicht locker zu lassen, wenn der Befragte einen plausiblen Grund genannt hat. Es geht darum, die wahren Motive und Rahmenbedingungen zu verstehen. Ein großer Fehler, den ich gemacht habe, ist, das Interview als eine Möglichkeit zu sehen, Lösungen für Probleme zu sammeln. Aber nach vielen Befragungen ist mir bewusst geworden:

Kunden sind nicht Experte der Lösung, sondern des Problems!

Lektion 3: „Welches Problem hält dich nachts noch wach?“

Die Frage klingt clever.

Sie ist offen gestellt, sie ist witzig, sie zeichnet ein konkretes Bild und durch das subtile Wörtchen „noch“ lädt sie zum Nachdenken ein. Sie hat alles, was eine gute Coaching-Frage ausmacht. Gute Coaching-Fragen schauen in die Zukunft und sollen Ressourcen bei den Klienten freisetzen.

Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die Frage jedoch als eine ziemlich schlechte Interviewfrage.

Ursprünglich habe ich möglichen Interessenten am Training die Frage gestellt: „Welches Problem hält dich nachts noch wach?“ Damit wollte ich verstehen, ob das Angebot des Trainings zu ihren Herausforderungen passt. Die Antwort auf diese Frage war bisher immer peinliche Stille oder: „Keines“. Das Stellen dieser Frage hat mir gezeigt, dass es bei einem guten Interview nicht darum geht, Absichten möglicher Kunden zu verstehen. Bei einem Interview suchen wir nach Tatsachen aus dem Leben unserer Kunden und nicht nach allgemeinen Meinungen oder Vorstellungen über die Zukunft. Diese Tatsachen erhalten wir am ehesten, wenn wir nach konkreten Fällen, Situationen und Anekdoten aus der Vergangenheit fragen.

Wie kann ich diese Einsicht nutzen, um das Training zu verbessern?

Anstatt potenzielle Kunden zu interviewen, vor welchen Problemen sie stehen, muss ich ehemalige Kunden befragen, welche Situationen sie durchlaufen haben, die dazu geführt haben, dass sie das Produkt erwerben wollten. Es geht also darum, zu verstehen, warum Kunden kaufen. Je besser ich das verstehe, desto besser kann ich die Trainingsbeschreibung, die Trainingsinhalte und weiterführende Angebote für zukünftige Kunden gestalten.

Ich stelle mir das vereinfacht so vor:

Die Menschen wollen, dass ihr Leben besser wird. Sie haben eine Vision davon, wo sie hinwollen, aber es gibt Hindernisse auf ihrem Weg. Und diese Hindernisse muss das Training adressieren.

All diese Informationen erhalte ich, wenn ich ehemalige Teilnehmer meines Trainings befrage:

  • Wie soll deine Zukunft als Scrum Master aussehen? Was bedeutet Erfolg für dich?
  • Vor welchen Problemen stehst du dabei tagtäglich in der Arbeit mit deinem Scrum Team?
  • Was hast du schon ausprobiert, um die Probleme zu lösen?

Auf der Suche nach einem passenden Rahmen, um meine Interviews zu strukturieren, bin ich auf die Kaufauslöser-Karte von der „The Re-Wired Group“ gestoßen.

Die Karte unterteilt die Frage, warum Kunden kaufen, in drei Phasen:

  • Passive Suchphase
  • Aktive Suchphase
  • Kaufentscheidung

Und zu jeder dieser Phasen gibt es Ereignisse im Leben der Kunden, die die Phase eingeleitet haben. Als Interviewer ist es meine Aufgabe, diese Ereignisse zu finden. Hier einige Beispiele:

Passive Suchphase

  • „In meinem Team sind zwei sehr Extrovertierte und der Rest ist eher introvertiert. Nach dem letzten Meeting meinte einer der Extrovertierten zu mir: ‚Keiner im Team sagt etwas.‘“
  • „Nach schätzungsweise 100 Planungen und Gestaltungen von Retrospektiven gehen mir die Ideen aus.“
  • „Mir fehlt Praxiswissen. Ganz konkret anwendbar. Im letzten Meeting wurde ich gefragt: ‚Wie würdest du das als Scrum Master machen?‘ Ich hatte keine passende Antwort parat.“

Aktive Suchphase

  • „Die Mitglieder in meinem Team sind sehr ruhig und beteiligen sich wenig. Wenn ein Workshop länger als 1 Stunde dauert, dann sind die Entwickler raus.“
  • „Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Retro: immer die gleichen Diskussionen, aber keine konkreten Verbesserungen. „Was hat funktioniert, was nicht?“ Das Resultat verschwindet in den Tiefen von Confluence oder etwas Unkonkretem wie einem Gespräch: „Wir müssen mit dem Testmanager reden … “
  • „Refinement artet bei uns schnell in ein ‚Ideen-Pingpong‘ aus. Viele unterschiedliche Meinungen, die hin und her gespielt werden. ‚Mache ich meinen Job falsch, da es zu keiner Entscheidungsfindung kommt?‘“

Kaufentscheidung

Gründe, warum das Training gekauft wurde:

  • Super Preisleistungsverhältnis
  • Konkrete Beispiele
  • Begrenzte Teilnehmerzahl
  • Das Versprechen, dass ich selbst Techniken ausprobieren darf
  • Ein Training von einem praktizierenden Scrum Master für Scrum Master

Diese Sammlung der konkreten Ereignisse und die Zuordnung auf die unterschiedlichen Phasen des Kaufprozesses helfen mir besser zu verstehen, wie ich Scrum Master unterstützen kann, mit Facilitation-Fähigkeiten ihren Arbeitsalltag zu verbessern.

Die Lektion:

Keine Fragen verwenden, die die Befragten einladen, über die Zukunft nachzudenken. Um belastbare Fakten zu finden, muss ich mich beim Fragen auf Situationen aus der Vergangenheit der Befragten fokussieren.

Die Einsichten aus einem Interview liegen in der Vergangenheit der Befragten!

Wenn du die Einblicke und die Lektionen in meinem Interviewprozess spannend oder hilfreich fandest, dann teile den Artikel gerne mit deinem Netzwerk!

 


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