In Kürze: Agiles Scheitern auf der Unternehmensebene
Die Daten könnten kaum deutlicher sein: Trotz 25 Jahren des „Manifest for Agile Software Development“, unzähliger Bücher, einer Zertifizierungsbranche, Konferenzen und zahlreicher Berater kämpfen wir alle gemeinsam darum, Agile zum Erfolg zu führen. Meine aktuelle Umfrage, obwohl sie sich nicht auf Agiles Scheitern konzentrierte, zeigt dennoch systemische Dysfunktionen auf, die in Unternehmen, die versuchen, agile Praktiken im Alltag zu implementieren, fortbestehen:
- Hindernis Nr. 1: Führungsdefizite (33 % der Befragten nennen Managementprobleme).
- Hindernis Nr. 2: Fehlende Produktvision (12 % der Befragten erkennen das „Warum“ nicht).
- Hindernis Nr. 3: Kultureller Widerstand (12 % der Befragten berichten von Denkbarrieren).

1. Über die Daten
- Stichprobengröße: 165 Agile Praktiker.
- Erhebungszeitraum: 13. bis 17. Mai 2025.
- Demografie: 27,3 % Agile Coaches, 20,6 % Scrum Master, 9,7 % Product Owner/Product Manager, 7,9 % Agile Project/Delivery Manager, 5,5 % Consultants, 29,0 % Sonstige.
- Methodik: Offenes Frageformat mit Schlüsselwortanalyse und thematischem Clustering.
- Schlüsselfrage: „What’s your biggest frustration when applying Agile or Scrum in your organization?“
2. Das Führungsparadox: Unser größtes Hindernis
Das größte Hindernis sind nicht technische Schulden oder unzureichende Werkzeuge, sondern die Führung. Mit 55 Antworten, die Managementprobleme hervorheben, überragt diese Kategorie alle anderen.
Dabei handelt es sich nicht um Beschwerden über einfaches Mikromanagement. Sie spiegeln grundlegende Diskrepanzen wider, bei denen Führungskräfte Agile zwar verbal befürworten, die Prinzipien aber durch ihr Handeln untergraben: „We are working for big companies, most of the time they want to know exactly what something will cost and by when it will be ready. This is a bad fit to try and do this in an agile way, however, doing it in a waterfall way also doesn’t yield the correct results, so we’re often stuck in a sort of iterative waterfall where guarding scope creep is the main focus.“
3. Die Visionslücke
12 % der Befragten gaben einen Mangel an Produktvision und Wertorientierung an, der mit kulturellem Widerstand vergleichbar ist. Wenn Teams effizient Features liefern, die niemand will, haben wir das Falsche optimiert, die Feature Factory: „We sprint like Olympic athletes, but nobody knows toward what finish line“ — Scrum Master, retail technology.
Für agile Projektmanager war dies die größte Frustration. Ohne Klarheit darüber, „warum“ wir etwas bauen, wird das „Wie“ bedeutungslos.
4. Das kulturelle Rätsel, das Agiles Scheitern führt
Weitere 12 % verweisen auf Mentalität und den kulturellen Widerstand. Warum behandeln wir Agile nach 25 Jahren immer noch als etwas, das eine “ Transformation “ erfordert und nicht gesunden Menschenverstand? Das Fehlen von psychologischer Sicherheit hindert Teams am Experimentieren. Ohne die Erlaubnis, durch Versuch und Irrtum zu lernen, wird Agilität mechanisch: „People who know very little about agile who perpetuate misconceptions and make it very difficult to introduce an agile mindset.“
Wir haben uns zu sehr auf Frameworks und Versprechen konzentriert und nicht genug auf Werte. Wenn Organisationen Scrum-Prozesse einführen und gleichzeitig an einer Befehls- und Kontrollmentalität festhalten, versuchen sie, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen.
5. Die strukturellen und systemischen Unstimmigkeiten
Sieben Antworten (4 %) wiesen auf Probleme mit der Organisationsstruktur hin. Dieses „Conway’s Law in Aktion“ führt dazu, dass sich Abteilungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, wodurch potenzielle agile Vorteile zunichte gemacht werden. Diese Unausgewogenheit führt zu Silos, in denen Teams ohne Rücksicht auf die Gesamtstrategie lokale Optimierungen vornehmen, die oft durch falsch ausgerichtete Anreize vorangetrieben werden: „The biggest pain from my perspective is that management, developers and many product people alike stick to optimising for outcomes and full utilisation. There’s a common understanding that this is how it’s done in an efficient and „professional“ company.“
6. Die Implementierungsfalle
Sechzehn Antworten (10 %) über die falsche Anwendung von Prozessen offenbaren ein beunruhigendes Muster: Wir sind darin geübt, Agile schlecht zu machen. Nicht enden wollende Standups, politisch motivierte Estimation-Sessions und Action-Item-Friedhöfe sind keine agilen Fehlschläge, sondern sichtbare organisatorische Fehlfunktionen: „We define improvements each Retro and they are all valuable, but over time this also becomes too much for teams and too many rules we agreed to follow, and it leads to exhaustion.“
7. Den Kreislauf durchbrechen: Agiles Scheitern zu verhindert erfordert radikale Ehrlichkeit
Nach 25 Jahren ist es Zeit für unbequeme Wahrheiten:
- Agile ist nicht für jeden geeignet. Manche Organisationen sind mit traditionellen Ansätzen besser bedient. Agiles Vorgehen dort zu erzwingen, wo es nicht hingehört, führt zu genau den Fehlfunktionen, die wir beobachten.
- Einer Veränderung der Führungsweise muss “Agile” vorausgehen. Agile Initiativen werden zu oberflächlichen Prozessänderungen, wenn Führungskräfte Empirie und Selbstorganisation nicht verstehen.
- Wir haben die Rituale über die Ergebnisse gestellt. Unsere Community hat nicht immer eine klare Verbindung zwischen Praktiken und Geschäftsergebnissen hergestellt und manchmal zugelassen, dass die Form an die Stelle der Funktion tritt.
- Ausbildung ist nicht Umsetzung. Ein zweitägiger Kurs, wie gut er auch sein mag, kann eine Organisation nicht verändern. Wir brauchen Ehrlichkeit darüber, was eine Zertifizierung bietet und was nicht.
- Transparenz auf der Ebene der Organisation ist nicht verhandelbar. Ohne Einblick in die Vision und Strategie können sich die Teams nicht effektiv selbst organisieren.
- Die physische Umgebung ist wichtig. Bei der agilen Arbeitsweise geht es nicht nur um Denkweisen und Prozesse, sondern auch um Räume, die für die Zusammenarbeit ausgelegt sind.
8. Der Branche den unbequeme Spiegel vorhalten
Viele engagierte Fachleute arbeiten unermüdlich daran, echte Agilität zu fördern. Dennoch müssen wir anerkennen, dass Agile manchmal mehr Produkt als Philosophie geworden ist. Dabei geht es nicht um einzelne Praktiker, die meisten wollen Organisationen wirklich helfen, sich zu verbessern. Stattdessen geht es um systemische Anreize, die den Fokus allmählich von der Transformation zur Transaktion verschieben.
Die unbequeme Wahrheit ist, dass unsere Branche manchmal von einer Komplexität profitiert, die ein ständiges Eingreifen erfordert, anstatt die Unabhängigkeit der Organisation zu gewährleisten. Wir müssen uns fragen: Bauen wir organisatorische Fähigkeiten oder organisatorische Abhängigkeiten auf? (Offenkundig ist Letzteres auf lange Sicht lukrativer.)
Fazit: Weniger Frameworks, mehr Grundlagen; agiles Scheitern ist vermeidbar
Wie wäre es, wenn wir anstelle der Frage „Wie können wir Agile besser umsetzen?“ eine andere Frage stellen würden „Welche Geschäftsprobleme versuchen wir zu lösen, und welche agilen Prinzipien könnten uns dabei helfen?“ Diese Neuausrichtung verlagert die Framework-Orientierung auf die Geschäftsergebnisse. Agilität ist nicht das Ziel, sondern ein Mittel, um die Unternehmensziele zu erreichen.
Nach 25 Jahren besteht unsere größte Herausforderung vielleicht nicht in der Implementierung agiler Praktiken, sondern darin, uns daran zu erinnern, warum wir sie brauchen: um bessere Produkte zu liefern, die Werte schafft. Alle anderen, von Events über Rollen bis hin zu Artefakten, sind Mittel zu diesem Zweck. Lassen Sie mich noch einmal die alte Platte auflegen, um agiles Scheitern zu vermeiden: Wir werden nicht dafür bezahlt, Scrum oder Agile zu praktizieren, sondern die Probleme der Kunden im Rahmen der gegebenen Einschränkungen zu lösen und gleichzeitig zur Nachhaltigkeit der Organisation beizutragen.
Zugabe: Montagmorgen-Experimente
- Bitten Sie die Führungskräfte, ein Geschäftsergebnis zu nennen, das sie sich von Agile wünschen.
- Ersetzen Sie einen Statusbericht durch die Teilnahme an einem Sprint Review.
- Reservieren Sie 30 Minuten, um die Produktvision Ihres Teams in einem Satz zu formulieren.
- Identifizieren Sie ein räumliches Hindernis und schlagen Sie eine einfache Lösung vor.
- Führen Sie ein Meeting durch, das sich auf das „Warum“ konzentriert, bevor Sie das „Was“ oder „Wie“ diskutieren.
- Notieren Sie, welche agilen Erfolgsmetriken sich auf den Output und welche auf die tatsächlichen Geschäftsergebnisse beziehen.
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