„Mach’s einfach nicht!“ So lautet der gängige Rat, wenn es um hybride Meetings geht.
Ich verstehe, warum.
Wenn du auch schon einmal versucht hast, Menschen im Raum und Remote-Teilnehmer gleichzeitig einzubinden, kennst du die typischen Probleme. Angefangen damit, dass die Technik streikt und es kein Bild der Online-Teilnehmer gibt. Im Raum laufen die Gespräche, während online nur ein Stimmenwirrwarr ankommt. Am Ende fühlen sich die Teilnehmer online nur mehr als stille Zuschauer. Kein Wunder also, dass selbst erfahrene Moderatoren das Problem so abtun:
„Sobald eine Person remote ist, sind alle remote.“
Aber unter uns:
Willst du ins Büro kommen, nur um dann in einem Call zu sitzen? Willst du nicht mit Zetteln und Stift wirklich Fortschritt bei der Lösung von Problemen am Whiteboard spüren? Und was ist mit der Kaffeepause? Jeder weiß doch, dass dort die wichtigsten Gespräche stattfinden. In einer Umfrage klagte über die Hälfte (56 %) der Befragten, dass sich die Moderation zu sehr auf die Personen im Raum konzentriere. Könnte es sein, dass der Ratschlag: „Hybride Meetings funktionieren nicht, mach’s einfach nicht“, zwar gängig ist, aber dass Moderatoren es sich damit einfach zu leicht machen?
Besteht nicht der Wert eines Facilitators gerade darin, hybride Meetings für alle Beteiligten erfolgreich zu machen?
Meine Erfahrung mit hybriden Meetings
Anfang des Jahres 2019 trat ich eine neue Stelle als Scrum Master an.
Ich begleitete zwei Teams. Eines war komplett vor Ort. Im anderen Team waren alle Mitglieder in ganz Deutschland verteilt. Was die Durchführung von Meetings und Workshops anbelangte, eine angenehme Situation, bis ein Teammitglied aus dem Remote-Team in das Team vor Ort wechselte.
Von diesem Tag an war hybrides Arbeiten die Norm. Scrum Events, Meetings, Workshops – alles hybrid.
Ich war mit drei Problemen konfrontiert:
- Wie kann jeder jederzeit einbezogen werden?
- Wie bleiben alle auf dem gleichen Stand – egal, wo sie sind?
- Wie lassen sich Notizen gemeinsam erstellen?
Wenn du dich jetzt fragst, warum gerade diese Probleme und wie ich darauf gekommen bin, hier meine Analyse:
Diagnose: Prinzipien zuerst, nicht Tools.
Ich kann das nicht häufig genug betonen:
Unerfahrene Facilitatoren denken bei hybriden Meetings nur daran, das richtige Tool auszuwählen. Aber das ist zweitrangig. Tools und Werkzeuge entwickeln sich weiter. 2017 hatte ich bereits Webex und ein Smartboard. Davor habe ich Meetings nur mit Telefonspinne gemacht. Heute haben Zoom und MS Teams Breakout-Sessions und es gibt Slack. 2017 kannte ich auch noch keine Liberating-Structures, mittlerweile vereinfachen sie mein Facilitator-Leben ungemein. Die Kriterien, die ein erfolgreiches Meeting ausmachen, bleiben hingegen gleich.
Sie sind zeitlos.
Ich orientiere mich dabei an diesen fünf Facilitation-Prinzipien, die ich auch im „Professional Scrum Facilitation Skills“-Training weitergebe, welches ich zusammen mit Marc regelmäßig in München durchführe:
- Partizipation: Alle müssen eingebunden werden. Ohne Mitwirkung keine Wirkung.
- Gesunde Moderation: Es braucht einen Raum, in dem unterschiedliche Meinungen koexistieren können.
- Transparenz: Sichtbarkeit von Arbeitsergebnissen hilft, Transparenz zu schaffen. Das Ziel ist es, ein gemeinsames Verständnis herzustellen.
- Prozessklarheit: Der Prozess muss Beteiligung fördern, sicherstellen, dass niemand ausgeschlossen wird, und Wege zulassen, die die unterschiedlichen Perspektiven in einem Team nutzen.
- Zielgerichtetheit: Meetings brauchen ein klares Ziel, um Fortschritt erkennbar zu machen.
Wenn ich diese Prinzipien heranziehe, erkenne ich: Bei hybriden Meetings liegt die Herausforderung weniger in der Zielgerichtetheit als vielmehr in der Partizipation.
Daher stelle ich mir vor jedem hybriden Meeting die Fragen:
- Wie kann jeder jederzeit einbezogen werden?
- Wie bleiben alle auf dem gleichen Stand – egal, wo sie sind?
- Wie lassen sich Notizen gemeinsam erstellen?
Lass uns ein Problem nach dem anderen besprechen – und ich verrate dir, wie ich es derzeit löse:
Problem #1: Wie kann jeder jederzeit einbezogen werden?
Beginnen wir damit, was nicht funktioniert hat:
- Offline-Buddy: Jedem Online-Teilnehmer wird ein Meeting-Teilnehmer vor Ort zugewiesen. Dieser „Offline-Buddy“ soll dafür sorgen, dass sein Online-Kollege alles hören, sehen und lesen kann. Das hat bei mir noch nie funktioniert. Angefangen damit, dass ich manchmal mehr Online-Teilnehmer als Offline-Teilnehmer im Meeting hatte, bis hin zu Offline-Buddys, die einfach verschwunden waren und ihre Online-Buddys im Stich gelassen haben, – ich habe schon alles erlebt.
- Gruppen trennen: Die Personen vor Ort arbeiten als Gruppe zusammen, die Personen online ebenfalls. In regelmäßigen Abständen teilen sie dann ihre Ergebnisse mit der anderen Gruppe. Klingt in der Theorie gut, führt aber in der Praxis schnell zu einer Zweiklassengesellschaft oder einer „Wir gegen die“-Mentalität.
- Moderator-Tandem: Ein Facilitator moderiert die Online-Teilnehmer, der andere die Offline-Teilnehmer. Diese Lösung ist gut, leider auch purer Luxus, den viele einfach nicht immer haben. Häufig ist es keine Option, vor einem hybriden Meeting mit sieben Personen zu sagen: „Ich moderiere es nur, wenn ich noch einen Co-Moderator habe.“
Was für mich seit einigen Jahren gut funktioniert, ist dieses Vorgehen:
Jeder Teilnehmer – auch offline – bringt seinen Computer oder sein Handy mit. Zur Partnerarbeit (oder Gruppenarbeit) erstelle ich beliebige Breakout-Sessions.
Damit ergeben sich folgende Konstellationen:
- Sind beide Teilnehmer offline, treffen sie sich offline und legen ihre Computer beiseite.
- Sind beide online, treffen sie sich online in der Breakout-Session.
- Ist ein Teilnehmer offline, einer online, nutzen sie ebenfalls die Breakout-Session zum Austausch.
Damit dieses Vorgehen reibungslos funktioniert, erinnere ich die Offline-Teilnehmer daran, leise zu sprechen und sich in eine ruhige Ecke zurückzuziehen.
Der Trick besteht hierbei in der beliebigen Erstellung der Breakout-Sessions. Damit kann ich als Facilitator die Gruppengrößen und die Zeit kontrollieren. Aber wie kann ich eine Einladung an alle formulieren und ihnen bei Fragen zur Seite stehen?
Was uns zum nächsten Problem führt:
Problem #2: Wie bleiben alle auf dem gleichen Stand – egal, wo sie sind?
Dieses Problem zeigt sich auf vielerlei Weise:
- Wie kann ich Einladungen oder Instruktionen an alle Teilnehmer formulieren?
- Wie kann ich den Teilnehmern bei Fragen zur Seite stehen?
- Wie kann eine Person mit allen anderen sprechen?
- Wie lassen sich Ergebnisse für alle präsentieren?
Alle diese Herausforderungen gilt es, in den Griff zu bekommen, sonst knirscht es im Meeting.
Der Fachausdruck für dieses Phänomen ist die „Groan Zone“. Das sind Teile des Meetings, in denen sich Teilnehmer nicht mehr gehört fühlen, auf einmal verschiedene Lager entstehen oder Vorschläge von anderen boykottiert werden. Sie entsteht, weil sich ein Teil der Gruppe noch in der Ideenfindung befindet, während der restliche Teil bereits eine Lösung priorisieren und weitermachen will. Kurzum:
Die Teilnehmer des Meetings sind nicht mehr alle auf demselben Stand.
So versuche ich, alle Teilnehmer des Meetings auf demselben Stand zu halten:
- Einladungen oder Instruktionen aussprechen: Ich hole alle Teilnehmer – online und offline – in den Raum, stelle alle online stumm und spreche die Anweisung laut ins Mikrofon. Somit können mich die Teilnehmer vor Ort und online hören. Wird eine Rückfrage gestellt, wiederhole ich immer zuerst die Frage, bevor ich eine Antwort gebe. Zur Sicherheit schreibe ich die Instruktionen auch nochmal in den Chat – damit sie für jeden sichtbar und zum Nachlesen sind. (Tipp: Unbedingt vorab formulieren!)
- Fragen beantworten: Wenn die Gruppenarbeit läuft, „laufe“ ich durch die verschiedenen Breakout-Sessions und stehe für Fragen zur Verfügung. Alternativ bin ich über den Chat erreichbar. Damit ich mich nicht nur auf die Teilnehmer vor Ort konzentriere, verlasse ich bewusst den Raum.
- Austausch über die Gruppen hinweg: Hier habe ich schon viel probiert, aber am Ende funktioniert nur eine Methode zuverlässig: die Chat-Funktion. Bei allem anderen bekommt irgendwie nie jeder alles mit.
Ich kann dich verstehen, wenn du jetzt sagst: „Wie, chatten in einem Meeting?“ Und ja, für die Teilnehmer vor Ort wirkt das befremdlich. Allerdings ist das der kleinste gemeinsame Nenner, der dafür sorgt, dass wirklich jeder im Raum mitbekommt, was eine Person zu sagen hat.
Hier ein Beispiel, wie ich den Chat auf ganz natürliche Weise nutze, ohne dass es komisch wirkt:
Angenommen, wir wollen in einer großen Gruppe Ideen für ein Problem brainstormen, dann mache ich es so:
- Jeder bekommt einen Moment, um einige Ideen zu formulieren.
- Dann darf er seine Ideen mit einer anderen Person austauschen.
- Nun lasse ich die Paare mit einem anderen Paar zusammengehen und ihre Ideen ergänzen.
- Dann bitte ich die Gruppen, ihre drei besten Ideen im Chat zu posten.
- Zum Schluss lade ich jeden ein, seine notierten Ideen mit den Ideen aus dem Chat zu ergänzen.
Hierbei nutze ich also 1-2-4-All, Blitzlicht, beliebige Breakout-Sessions, die Chat-Funktion, erkläre zu Beginn den Ablauf und poste normalerweise die Instruktionen im Chat. (Tipp: Mehr Zeit als gewohnt einplanen!)
Was uns zur letzten Herausforderung bringt:
Problem #3: Wie lassen sich Notizen gemeinsam erstellen?
Du wirst mir bestimmt zustimmen:
Idealerweise werden alle Notizen auf einem digitalen Whiteboard gesammelt.
Leider ist dieser Luxus selbst im Jahr 2025 nicht jedem Team vergönnt. Was überhaupt nicht funktioniert, ist, mit Flipcharts und Metaplanwänden und einer Kamera zu arbeiten – wie mir viele Bigroom-Plannings schmerzhaft vor Augen geführt haben.
Also – wenn möglich, dann …
- … nutze ich ein gemeinsames digitales Whiteboard, um Notizen und Arbeitsergebnisse festzuhalten. Ich lasse dann aber die Ergebnisse nicht vor allen präsentieren, sondern lade immer zu einem Gallery Walk ein. Etwa mit der Aufforderung: „Nimm dir 10 Minuten Zeit, um die Arbeitsergebnisse der anderen Gruppen anzusehen, und notiere dir drei Erkenntnisse, die besonders für dich herausstechen.“
- … nutze ich häufig den Chat für Blitzlichter, wie ich im letzten Abschnitt beschrieben habe. Hierzu die Einladung: „Nachdem du deine Idee im Chat gepostet hast, lies dir die anderen Ideen durch und notiere dir drei Ideen, die besonders herausstechen.“
Jetzt ist dir bestimmt nicht verborgen geblieben, dass ich immer „notiere“ in Einladungen nutze. Wahrscheinlich stellst du dir die Frage: Warum?
Vor Kurzem habe ich ein hybrides Meeting moderiert, in dem mir kein digitales Whiteboard zur Verfügung stand.
Der Ausweg: Stift und Zettel.
Statt alle Notizen auf einem gemeinsamen Board zu sammeln, hat jeder seine Notizen in sein persönliches Notizbuch geschrieben. Nach den Blitzlichtern aus den Gruppen habe ich den Teilnehmern immer ein bis zwei Minuten Zeit zur stillen Reflexion gegeben und sie gebeten, sich Notizen zu machen.
Was mich überraschte: Obwohl dieses Vorgehen eher aus der Not geboren war, bekam ich überraschend gutes Feedback.
Was mich zur Einsicht bringt:
Hybride Meetings nicht zu machen, ist keine Option für gute Facilitatoren.
Damit wir unseren Wert unter Beweis stellen können, gilt es, neue Wege zu gehen, wie hybride Meetings funktionieren könnten. Für mich bedeutet das, sich auf wenige einfache Dinge zurückzubesinnen:
- Facilitation-Prinzipien
- Liberating-Structures
- Computer oder besser: Handy
- Breakout-Sessions
- Chat-Funktion
- Digitales Whiteboard
- Notizbuch und Stift
Allerdings möchte ich auch ehrlich mit dir sein: Viele Probleme hybrider Meetings konnte ich damit noch nicht lösen. Was ist ein guter Energizer für hybride Meetings? Oder wie lassen sich Kaffeepausen am besten hybrid gestalten?
Wenn du Ideen hast, schreibe sie bitte unbedingt in die Kommentare!