Wo stehst du auf deiner Reise als Product-Owner?
Scrum gibt es seit 1995. In Ansätzen sehen wir die Rolle des Product-Owners bereits in der ersten Version des Scrum Guide. Offiziellen Einzug in den Scrum Guide hat sie in der Version aus dem Jahr 2010 genommen. Heute ist die Rolle in vielen Unternehmen etabliert. Und es stellen sich die Fragen:
Wie sehen Entwicklungsstufen der Rolle aus? Wie übernehmen Product-Owner mehr Verantwortung? Wie machen Product-Owner Karriere?
Zur Beantwortung der Fragen nutze ich ein Reifegradmodell.
Entwickelt haben es Gunther Verheyen und Ron Eringa. Über die letzten Jahre hat Scrum.org dieses Modell mit den Erfahrungen von Unternehmen aus der ganzen Welt angereichert. Da sich das Modell mit meiner Erfahrung aus über zehn Jahren in Scrum Teams deckt, geben wir es auch an Führungskräfte im „Professional Agile Leadership“-Training weiter.
Ein Reifegradmodell für Product-Owner
Es besteht aus fünf Stufen. Beginnen wir mit dem geringsten Reifegrad:
- Stufe 1: Der Analyst – Ein Product-Owner auf dieser Stufe verfügt über gute analytische und grundlegende Produktkenntnisse. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf der Erstellung von Product-Backlog-Einträgen. Die Wünsche der Stakeholder sollen in konkrete Arbeitsaufgaben für das Scrum Team formuliert werden. Somit führt er die Pläne und Produktentscheidungen der Stakeholder aus.
- Stufe 2: Der Proxy-Product-Owner – Ein Product-Owner auf dieser Stufe hat mehr Verantwortung über das Product-Backlog. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf die Erstellung von Sprint-Zielen und das Entdecken von Produktverbesserungen. Er versteht, welche Ziele die Nutzer seines Produkts erreichen wollen. Damit hat er direkten Einfluss auf die Pläne und produktbezogenen Entscheidungen der Stakeholder. Er vereint die Stakeholder in der Zusammenarbeit am Product-Backlog und übernimmt Verantwortung für die Ergebnisse des Sprints.
- Stufe 3: Der Vertreter des Fachbereichs – Ein Product-Owner dieser Stufe konzentriert sich weniger auf das Management des Product-Backlogs, sondern hat den Überblick über alle Schritte im Wertschöpfungsprozess. Er vereint die Bedürfnisse der Nutzer, Kunden und Stakeholder im Product-Backlog. Sein Fokus liegt auf der Wertschöpfung und dem Fortschritt hinsichtlich der Ziele des Produkts. Bei der Umsetzung von Plänen und produktbezogenen Entscheidungen arbeitet er auf Augenhöhe mit den Stakeholdern zusammen. Er inspiriert das Scrum Team, mit allen Stakeholdern in der Wertschöpfungskette zusammenzuarbeiten und kontinuierlich Ergebnisse zu liefern.
- Stufe 4: Der Entscheider – Ein Product-Owner auf dieser Stufe hat tiefe Kenntnisse von der Wertschöpfungskette des Produkts, der Branche und den Kunden. Sein Fokus liegt auf kontinuierlicher Wertschöpfung und Zusammenarbeit für Nutzer, Kunden und Stakeholder. Er hat das Mandat, produktbezogene Entscheidungen zu treffen. Außerdem verfolgt er die Strategien für das Produkt eigenständig. Damit übernimmt er die Verantwortung für die Zufriedenheit der Kunden. Er kann die Maximierung von Wert mit mehreren Scrum Teams, Produkten und Stakeholdern leiten.
- Stufe 5: Der Unternehmer – Ein Product-Owner auf dieser Stufe hat tiefes Wissen über ein weites Produktportfolio. Er fokussiert sich auf kontinuierliche Wertoptimierung für das Unternehmen. Er ist verantwortlich für die strategische Ausrichtung des Unternehmens, die Planung von Budgets, Gewinnen und Verlusten in der Wertschöpfungskette der Produkte. Damit übernimmt er Mitverantwortung für den Erfolg des Unternehmens. Er ist in der Lage, komplexe Wertschöpfungsketten mit mehreren Teams, Bereichen, Abteilungen und Stakeholdern zu führen.
Bevor wir darüber sprechen, wie du das Modell für die Weiterentwicklung nutzen kannst, widmen wir uns dieser Frage:
Wozu sollten sich Product-Owner weiterentwickeln?
Du kannst das Reifegradmodell als Reise vom Junior zum Senior interpretieren.
Was bedeutet es, Karriere zu machen? Am Ende wahrscheinlich immer eins dieser drei Dinge:
- Dir wird mehr disziplinarische Verantwortung übertragen. Du führst oder leitest Mitarbeitende an.
- Du darfst weitreichende Entscheidungen treffen. Du bekommst mehr Verantwortung, um für das Unternehmen zu entscheiden.
- Oder du bekommst schlichtweg mehr Geld.
Je nachdem, was dich antreibt – sei es mehr Geld oder mehr Verantwortung –, sollte es sich für dich als Product-Owner lohnen, dich weiterzuentwickeln. Ich denke, das liegt auf der Hand.
Was allerdings nicht so offensichtlich ist: Warum lohnt es sich für das Unternehmen, dass Product-Owner Karriere machen? Also worin liegen die Vorteile für das Unternehmen?
Betrachten wir nochmal die Stufen im Detail:
Stufe 2 – Proxy-Product-Owner: Bessere Umsetzung der Anforderungen durch enge Stakeholder-Zusammenarbeit.
Ein Product-Owner dieser Stufe verbessert die Umsetzung von Anforderungen, da er aktiv Stakeholder einbindet und deren Bedürfnisse klarer an das Entwicklungsteam vermittelt.
Ein Beispiel: Der Product-Owner veranstaltet regelmäßige Refinement-Sessions und Sprint-Reviews. Er lädt dazu den Vertrieb und die Entwickler ein, um sicherzustellen, dass alle die Kundenerwartungen gleich interpretieren und zielgerichtet arbeiten können.
Die Vorteile für das Unternehmen: Es entstehen weniger Missverständnisse zwischen dem IT- und Business-Bereich, was entwickelt werden soll. Dies sollte sich durch weniger Verzögerungen oder kürzere Entwicklungszeiten bemerkbar machen.
Stufe 3 – Vertreter des Fachbereichs: Höhere Kundenzufriedenheit durch klaren Wertfokus
Betrachten wir die Situation für einen Product-Owner auf Stufe 3. Dieser erhöht die Kundenzufriedenheit deutlich, indem er sich intensiv auf die tatsächliche Wertschöpfung und Erfüllung von Kundenbedürfnissen konzentriert.
Ein Beispiel: Der Product-Owner priorisiert Funktionen neu, nachdem er feststellt, dass Kunden stärker auf einfache Bedienbarkeit achten als auf einen umfassenden Funktionsumfang. Dadurch steigt die Kundenbindung spürbar.
Ein weiterer Vorteil: Verbesserte Zusammenarbeit zwischen Stakeholdern und Teams
Product-Owner auf dieser Stufe bringen unterschiedliche Perspektiven (Stakeholder, Nutzer und Teams) zusammen und sorgen somit für eine reibungslosere Zusammenarbeit.
Ein Beispiel: Der Product-Owner organisiert regelmäßige Workshops, bei denen Marketing, Entwicklung und UX-Team gemeinsam an konkreten Nutzerproblemen arbeiten, wodurch Missverständnisse reduziert und schneller bessere Ergebnisse erzielt werden.
Die Vorteile für das Unternehmen:
Kürzere Entwicklungszeit, schnellere Repriorisierung und Rückmeldung an Kunden sind einige der Vorteile.
Stufe 4 – Entscheider: Schnellere Entscheidungsprozesse im Unternehmen
Dieser Product-Owner beschleunigt Entscheidungen deutlich, da er autonom und selbstbewusst strategische Produktentscheidungen treffen kann.
Beispiel: Der Product-Owner entscheidet eigenständig, eine teure und technisch aufwendige Funktion nicht umzusetzen, nachdem Analysen gezeigt haben, dass der Kundennutzen gering wäre. Dadurch spart das Unternehmen erhebliche Ressourcen.
Ein weiterer Vorteil: Steigerung der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit
Ein Product-Owner dieser Stufe erkennt frühzeitig Chancen und ermöglicht proaktive Innovationen, die das Unternehmen am Markt differenzieren.
Ein Beispiel: Der Product-Owner führt eigenständig eine neue KI-basierte Funktion ein, die Kundenbedürfnisse besser erfüllt und einen Wettbewerbsvorteil verschafft, noch bevor Wettbewerber diese Funktion entdecken.
Noch ein Vorteil: Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Rentabilität
Ein Product-Owner auf Stufe 4 trifft Entscheidungen, die gezielt auf Wirtschaftlichkeit und Gewinnoptimierung ausgerichtet sind.
Beispiel: Der Product-Owner beschließt, bestimmte kostenintensive Produktfeatures abzuschalten, nachdem festgestellt wurde, dass diese den erwarteten Umsatz nicht generieren. Dies steigert unmittelbar die Profitabilität des Unternehmens.
Zusammenfassend: Die Vorteile sind in der ganzen Wertschöpfungskette sichtbar. Konkret sehen wir weniger Kontextwechsel im Team und verbesserten Fluss von Wert.
Stufe 5 – Unternehmer: Effiziente Steuerung komplexer Produktportfolios
Ein Product-Owner dieser Stufe ermöglicht eine optimale Steuerung und Koordination von komplexen Produktportfolios und Unternehmensbereichen.
Beispiel: Der Product-Owner entscheidet, drei ähnliche Produkte zu einem gemeinsamen Portfolio zu integrieren, um Synergien zu nutzen und der Entwicklung mehr Fokus zu verleihen. Dies spart Kosten und erhöht die operative Effizienz im gesamten Unternehmen.
Ein weiterer Vorteil: Langfristige Sicherung des Unternehmenserfolgs
Ein Unternehmer-Product-Owner trägt aktiv zur langfristigen strategischen Ausrichtung und damit zum nachhaltigen Erfolg des Unternehmens bei.
Beispiel: Der Product-Owner erkennt frühzeitig Marktveränderungen und richtet das Produktportfolio proaktiv neu aus, wodurch das Unternehmen langfristig seine Marktposition sichern und ausbauen kann.
Nachdem wir nun die Vorteile für ein Unternehmen kennen, die sich aus der Weiterentwicklung der Product-Owner ergeben, – zurück zur Frage:
Wie kannst du als Product-Owner das Modell zu deiner Weiterentwicklung nutzen?
Dein nächster Schritt: So nimmst du als Product-Owner deine Karriere in die Hand
Aus meiner Erfahrung wirst du mit einer einfachen Forderung nach mehr Geld oder mehr Verantwortung auf taube Ohren stoßen.
Was du brauchst, um wirklich Karriere zu machen: Du musst konkret werden.
Dies geht in drei Schritten:
- Nutze das Reifegradmodell. Bestimme, auf welcher Stufe du dich siehst. Betrachte deinen Arbeitsalltag – welche konkreten Situationen kannst du hierfür finden?
- Nun führe ein Gespräch mit deiner Führungskraft, wie du mehr Verantwortung übernehmen kannst. Nutze hier abermals das Reifegradmodell. Diesmal wähle gezielt die möglichen Vorteile für das Unternehmen, wenn du die nächste Stufe erreichst, um deine Argumentation zu untermauern.
- Wenn du mehr Verantwortung übernimmst, werden neue Tätigkeiten von dir verlangt und dir neue Aufgaben übertragen. Damit du dabei erfolgreich bist, musst du ihnen all deine Aufmerksamkeit widmen. Dies kann nur gelingen, wenn du deine bisherigen Tätigkeiten nicht mehr machst.
Der letzte Schritt ist wichtig. Und neun von zehn Product-Ownern übersehen ihn. Das führt schnell zu Überarbeitung und Überforderung – welche die Arbeit im Scrum Team behindern können und sich letztendlich negativ auf die Karriere auswirken. Deshalb musst du lernen zu delegieren.
Delegieren erfolgt in Stufen. Hier ein Beispiel, wie du die sieben Delegationslevel nutzen kannst – am Beispiel der Erstellung von Product-Backlog-Einträgen:
- Sagen: Als Product-Owner schreibst du die User-Stories selbst und teilst den Entwicklern lediglich mit, was sie tun sollen. „Hier sind die detaillierten User-Stories, die ich erstellt habe. Arbeitet daran.“
- Verkaufen: Als Product-Owner erstellst du die User-Stories und erklärst den Entwicklern die Gründe für die Anforderungen und die Details: „Ich habe diese User-Stories geschrieben, weil …“
- Beraten: Als Product-Owner holst du das Feedback der Entwickler zu den User-Stories ein, triffst aber letztendlich selbst die Entscheidung über die Details: „Ich habe diese User-Stories jetzt mal aufgeschrieben, aber ich möchte euer Feedback dazu hören, bevor ich die endgültigen Details festlege.“
- Zustimmen: Als Product-Owner arbeitest du mit den Entwicklern gemeinsam an der Beschreibung und Detaillierung der User-Stories und ihr kommt zu einer gemeinsamen Entscheidung: „Lasst uns gemeinsam die User-Stories durchgehen und die Details festlegen, damit wir alle damit einverstanden sind.“
- Beraten lassen: Die Entwickler erstellen die User-Stories, nachdem sie deine Meinung eingeholt haben. Als Product-Owner gibst du noch Ratschläge, hast aber kein Vetorecht: „Ihr könnt die User-Stories schreiben, aber lasst mich euch meine Sichtweise und Ratschläge dazu geben.“
- Erkundigen: Die Entwickler erstellen die User-Stories und du fragst nach, um dich über den Fortschritt oder die Details zu informieren: „Schreibt die User-Stories und informiert mich danach über die Details und darüber, wie ihr zu diesen gekommen seid.“
- Delegieren: Die Entwickler übernehmen die volle Verantwortung für die Beschreibung und Detaillierung der User-Stories. Du bist als Product-Owner nicht mehr involviert: „Ihr habt die volle Verantwortung, die User-Stories zu erstellen. Ich vertraue darauf, dass ihr die besten Entscheidungen trefft.“
Wie du sehen kannst, ist Delegieren nicht binär, sondern hat Abstufungen. Für mich stellt es eine der wichtigsten Fähigkeiten dar, die du meistern musst, willst du Karriere als Product-Owner machen.
Was du als Product-Owner noch beherrschen solltest – sofern du Karriere machen willst
Delegieren ist nur eine von vielen Grundfähigkeiten, die erfolgreiche Product-Owner auszeichnen. Die anderen lauten:
- Kundenwünsche erkennen und beschreiben
- Eine Vision entwickeln und kommunizieren
- Sichere Entscheidungen treffen
- Mit Experimenten und Tests Risiken frühzeitig minimieren
- Mit Stakeholdern kollaborieren
- Unterstützer für die eigene Produktidee gewinnen
Willst du diese Fähigkeiten nicht im Alleinstudium erlernen oder verbessern? Dann empfehle ich dir den Besuch des „Professional Scrum Product Owner – Advanced“-Trainings.
198 Product-Owner sind Peters und meiner Empfehlung in den letzten Jahren bereits gefolgt.