Der Begriff „Stakeholder-Management“ ist irreführend.
Stakeholder lassen sich nicht managen wie Aufgaben, Ressourcen oder Budgets. Die weitverbreitete Stakeholder-Matrix klingt zwar hilfreich in der Theorie, aber jeder, der als Product-Owner gearbeitet hat, weiß, dass sie in der Praxis fast nutzlos ist. Identifizieren, einordnen und steuern funktioniert nicht bei Menschen. (Vielleicht bei Pferden. Der Begriff „Management“ stammt ursprünglich aus dem Italienischen und meinte das gezielte Führen eines Pferdes durch verschiedene Gangarten.)
Willst du als Product-Owner erfolgreich sein?
Dann brauchst du keine Matrix, sondern belastbare Beziehungen, die auf Vertrauen und guter Zusammenarbeit beruhen. In diesem Artikel gehe ich mit dir sechs Fragen durch. Diese solltest du für dich beantworten, wenn du wirklich belastbare Beziehungen zu deinen Stakeholdern aufbauen willst.
Lass uns ganz von vorne beginnen:
Frage #1: Warum brauchst du deine Stakeholder überhaupt?
Niemand kann Freude an den endlosen Machtkämpfen haben, die sich oft rund um ein Produkt abspielen.
Vorstandsmitglieder, Geschäftsführung, Produktmanager, Betriebsrat, Abteilungsleiter aus Vertrieb, Marketing und Kundensupport – alle mischen mit. Da Produkte in jedem Unternehmen der Weg sind, um Wert zu schaffen, gibt es viele, die ein berechtigtes Interesse an der Zukunft des Produkts haben.
Deshalb lautet die unausgesprochene Wahrheit:
Wollen wir als Product-Owner, dass unsere Entscheidungen funktionieren, also Unterstützung finden und umgesetzt werden, dann sind wir auf die anderen angewiesen.
Warum brauchst du deine Stakeholder?
Ich sehe es so:
Am Ende ist ein Stakeholder eine Person, die in Entscheidungen einbezogen werden muss, damit Wert geschaffen wird. Und deshalb ist der Dreh- und Angelpunkt erfolgreichen Stakeholder-Managements, zu verstehen, was Wert ist und wie gute Entscheidungen getroffen werden.
Widmen wir uns zuerst dem Ersten:
Frage #2: Was zählt wirklich für deine Stakeholder?
Laut dem Scrum Guide ist der Product-Owner für die Maximierung des Werts verantwortlich.
Die Frage, die sich daraus ergibt, ist nicht: „Was ist Wert?“, sondern wir sollten uns fragen: „Für wen ist das wertvoll?“
Hier meine fünf Perspektiven:
- Nutzerwert: Welchen Nutzen hat unser Produkt? Was würde ein Nutzer auf die Frage antworten: „Was liebst du an diesem Produkt?“
- Kundenwert: Welche Gründe hat ein Kunde, unser Produkt zu kaufen?
- Unternehmenswert: Wie wertvoll ist unser Produkt für das Unternehmen? Warum sollte die Entwicklung nicht gestoppt werden?
- Persönlicher Wert: Was erhoffst du dir von der Entwicklung dieses Produkts oder deinem Einsatz?
- Stakeholder-Wert: Welchen Vorteil bringt es deinem Gegenüber, mit dir zusammenzuarbeiten? Unter Umständen: Was gewinnt er, wenn er nicht mit dir zusammenarbeitet?
Nach zehn Jahren in der Produktentwicklung kann ich dir sagen, dass die letzten beiden Fragen häufig nur wenig Beachtung finden, aber den Unterschied zwischen ewigen Machtkämpfen und Zusammenarbeit auf Augenhöhe ausmachen. Der persönliche Wert oder der Stakeholder-Wert hat meist etwas mit Einfluss, Status und Politik zu tun. Nicht selten geht es um Karrieren.
Was steht für dich und deinen Stakeholder auf dem Spiel?
Nachdem wir uns über den Wert Gedanken gemacht haben, widmen wir uns:
Frage #3: Wie lassen sich Stakeholder einbeziehen?
Hierzu gibt es einige bewährte Vorgehensweisen:
- Informieren: Du teilst Informationen einseitig mit Stakeholdern – etwa über Fortschritte, Entscheidungen oder geplante Schritte. Ziel ist Transparenz, nicht Mitsprache.
- Koordinieren: Du stimmst dich mit einem Stakeholder ab, um eure Aktivitäten aufeinander auszurichten. Dabei behalten beide Seiten ihre eigenen Verantwortlichkeiten, handeln aber abgestimmt.
- Zusammenarbeiten: Dein Stakeholder und du arbeiten gemeinsam an der Wertschöpfung. Es gibt regelmäßigen Austausch, gegenseitiges Feedback und geteilte Verantwortung für Ergebnisse.
- Ko-kreieren: Dein Stakeholder ist integraler Bestandteil der Wertschöpfung. Ohne ihn wird es nicht funktionieren. Ihr arbeitet gemeinsam daran – von der Idee über die Umsetzung bis zur Auslieferung.
Nachdem du Frage 2 beantwortet hast, kennst du die Motive eurer Zusammenarbeit. Mit den vier bewährten Vorgehensweisen kannst du nun deinem Stakeholder die Art der Zusammenarbeit vorschlagen, die für euch beide am wertvollsten ist.
Wie willst du künftig mit deinen Stakeholdern zusammenarbeiten – informieren, koordinieren, zusammenarbeiten oder ko-kreieren?
Was uns zu der Frage führt, die häufig über Erfolg oder Misserfolg von Zusammenarbeit entscheidet:
Frage #4: Wer trifft eigentlich die Entscheidungen – und warum?
Es ist kein Geheimnis:
Damit Entscheidungen mitgetragen werden, müssen sie an der richtigen Stelle getroffen werden.
Aber welche ist die richtige Stelle?
Um diese zu ermitteln, helfen das Delegation-Board und Delegation-Poker. Das zeigt, wie du als Product-Owner bewusst klären kannst, wer welche Entscheidung trifft und mit welchem Maß an Mitsprache oder Eigenverantwortung das geschieht.
Hier ein Beispiel:
Ein Delegation-Board schafft nicht nur Vertrauen und spart Diskussionen, sondern macht auch sichtbar, an welcher Stelle wirklich entschieden wird.
Welche Entscheidungen triffst du – und wo solltest du Verantwortung teilen oder ganz abgeben?
Frage #5: Was macht eine Entscheidung wirklich gut?
Wenn du als Product-Owner die Entscheidung triffst, – woher weißt du, dass du auch bestmöglich entschieden hast?
Hier vier Kriterien, die dir helfen, besser zu entscheiden:
- Zum richtigen Zeitpunkt: Hast du zu früh entschieden, fehlt oft die nötige Information. Entscheidest du zu spät, gehen oftmals wichtige Optionen verloren.
- Die richtigen Menschen einbeziehen: Wer betroffen ist oder wichtiges Wissen hat, sollte gehört werden. Beteiligung verbessert nicht nur die Entscheidung selbst, sondern auch ihre Akzeptanz.
- An der richtigen Stelle im Prozess: Entscheidungen sollten dort getroffen werden, wo das Problem am besten verstanden wird – du bist nicht zwangsläufig diese Person.
- Kognitive Verzerrungen reflektieren: Ob Ankereffekt, Bestätigungsfehler oder der Dunning-Kruger-Effekt – unbewusste Denkfehler verhindern objektivere Entscheidungen.
Da der letzte Punkt häufig wenig Beachtung bei Entscheidungen findet, hier die drei erwähnten Denkfehler, derer du dir bewusst sein solltest:
- Ankereffekt: Wir orientieren uns bei Entscheidungen zu stark an einer ersten Information, auch wenn sie irrelevant ist. Ein früher Vorschlag kann so das ganze Denken verzerren.
- Bestätigungsfehler: Wir suchen gezielt nach Informationen, die unsere Meinung stützen, und blenden Widersprüchliches aus. Das verhindert eine kritische Bewertung der Optionen.
- Dunning-Kruger-Effekt: Menschen mit wenig Kompetenz überschätzen sich oft, weil sie ihre Wissenslücken nicht erkennen, während Experten dazu neigen, sich selbst zu unterschätzen.
Die Frage, die du dir selbst regelmäßig stellen solltest, lautet also:
Wie triffst du gute Entscheidungen?
Was uns zur letzten Frage für heute bringt:
Frage #6: Wie machst du die Konsequenzen deiner Entscheidungen sichtbar?
Jede Entscheidung hat Konsequenzen, aber kommunizierst du diese auch?
Willst du langfristig belastbare Beziehungen mit deinen Stakeholdern aufbauen, die auf Vertrauen und guter Zusammenarbeit beruhen, dann solltest du jeden frühzeitig über die Konsequenzen deiner Entscheidungen – egal ob gut oder schlecht –informieren.
Hier einige Möglichkeiten:
- Entscheidungen im Entwurf teilen: Damit andere frühzeitig Feedback geben können. Dies kann die Akzeptanz erhöhen, bevor die endgültige Entscheidung verkündet wird.
- Town-Hall- oder Sprint-Review-Meetings: In regelmäßigen, offenen Meetings stellst du deine wichtigen Entscheidungen vor und beantwortest Fragen dazu. So erfahren alle direkt, was gerade wichtig ist.
- OKRs: Damit machst du deine Entscheidungen, welches Ziel verfolgt wird und was Erfolg bedeutet, für alle sichtbar.
- E-Mail-Verteiler: Entscheidungen oder Diskussionsergebnisse werden über Mailverteiler geteilt.
- Persönliches Entscheidungstagebuch: Ein Notizbuch aller wichtigen Entscheidungen mit Datum, Kontext und Begründung. Somit kannst du später besser nachvollziehen, warum du damals so entschieden hast.
Deshalb solltest du dich fragen:
Wie stellst du sicher, dass alle Betroffenen wissen, worauf sie sich einstellen müssen?
Zum Abschluss: Was du als Product-Owner noch beherrschen solltest
Stakeholder-Management oder besser Stakeholder-Zusammenarbeit ist nur eine von vielen Grundfähigkeiten, die erfolgreiche Product-Owner auszeichnen.
Weitere lauten:
- Kundenwünsche erkennen und beschreiben
- eine Vision entwickeln und kommunizieren
- sichere Entscheidungen treffen
- mit Experimenten und Tests Risiken frühzeitig minimieren
- Fortschritt und Erfolge messbar machen
- Product-Backlog priorisieren und Roadmaps pflegen
Willst du diese Fähigkeiten nicht im Alleinstudium erlernen oder verbessern? Dann empfehle ich dir den Besuch des „Professional Scrum Product Owner – Advanced“-Trainings.
198 Product-Owner sind Peters und meiner Empfehlung in den letzten Jahren bereits gefolgt.