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Überzeugen statt bloßstellen: Warum es bei der Kommunikation von Fakten immer auch auf die Geschichte ankommt

April 1, 2024

Seit dem letzten Herbst wird jedem agilen Coach bei Colenet eine detaillierte Auflistung von Daten automatisch zur Verfügung gestellt. Sie umfasst die Anzahl der Stunden, die den Kunden in Rechnung gestellt werden, den Tagessatz und viele weitere Informationen.

Als ich davon hörte, war ich überzeugt, dass dies eine gute Idee ist. Die Zahlen ermöglichen jedem Coach, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Sie versetzen jeden in die Lage, mitzuentscheiden, was im Moment das Beste für das Unternehmen ist. Sollte ich im nächsten Monat mehr beim Kunden arbeiten oder kann ich mir Zeit für eine Weiterbildung nehmen? Wenn das Ziel dieser monatlichen Berichte zudem die Automatisierung der Rechnungsstellung und Buchhaltung ist, dann reduziert das den administrativen Aufwand erheblich. Und insgeheim dachte ich natürlich: Wenn ich mein Gehalt kenne und weiß, wie viel ich der Firma im Monat einbringe, dann erleichtert mir das meine nächste Gehaltsverhandlung.

Womit hatte ich nicht gerechnet? Dass die Zahlen auch zu anderen Reaktionen führen können:

  • Die Auswertung liefert keinen Mehrwert, da sich die Zahlen mit den Stundenzetteln beim Kunden decken.
  • Die Zahlen rücken die Auslastung beim Kunden in den Vordergrund und fördern nicht die Lernkultur unseres Unternehmens.
  • Das Verhältnis von fakturierbaren Stunden zu tatsächlich geleisteten Kundenstunden hilft nicht beim Treffen von Entscheidungen.

Was war passiert?

Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass Daten so unterschiedliche Reaktionen hervorrufen können. Ich ging davon aus, dass es sich bei Zahlen doch einfach nur um Tatsachen handelt.

Was zeigt mir diese Situation?

Selbst Fakten können ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen

Wir tun gut daran, nie etwas anzunehmen.

Ob eine Nachricht gut oder schlecht ist, entscheidet immer der Benachrichtigte. Komme ich das nächste Mal in eine Situation, in der Veränderungen an einem Prozess vorgenommen werden sollen, dann gehe ich schrittweise vor und versuche damit, den möglichen Schaden frühzeitig einzugrenzen. Was meine ich damit? Im obigen Beispiel könnten die Fakten anfangs nur einer beliebigen Person offengelegt werden und im Nachgang könnte erfragt werden, wie sie die Information interpretiert. Basierend auf der Rückmeldung könnte die Nachricht angepasst werden. Am nächsten Tag könnte der Vorgang mit der nächsten Person wiederholt werden ...

So lange, bis die Fakten in einer Geschichte verpackt sind, die nicht auf Ablehnung stößt.

Eine zweite Lektion erhielt ich in einem Sprint Review vor einigen Jahren.

Über mehrere Sprints hatte ich damals beobachtet, dass die Entwickler im Team ständig abgelenkt wurden.

Der Vertriebsmanager fragte einen Entwickler, ob er schnell noch eine kleine Änderung an diesem Feature vornehmen könnte. Er habe gerade mit dem Kunden telefoniert, und dieser wünsche sich das. Die Projektleiterin lud spontan zu einem Meeting ein. Die Entwickler sollten an der Planung eines Angebots mitwirken. Und das Supportteam bat mehrmals in der Woche einzelne Entwickler um Unterstützung. Gleichzeitig hörte ich vom Product Owner und dem Geschäftsführer, dass die Performance des Teams nachlasse und jetzt endlich mehr geliefert werden müsse.

Ich musste also etwas unternehmen.

Und deshalb notierte ich mir einen Sprint lang alle ungeplanten Ablenkungen der Mitglieder des Teams. Ich hielt den Grund der Ablenkung und die Zeit fest. Diese Informationen präsentierte ich dann im Sprint Review dem Team, dem Product Owner und dem Management. Um die Auswirkung aufzuzeigen, stellte ich noch diese Grafik vor:

Die Grafik von Gerald Weinberg aus dem „Quality Software Management“ zeigt die Auswirkungen von Ablenkungen. Arbeitet ein Entwickler etwa an drei Projekten zur gleichen Zeit, dann kostet das Hin- und Herwechseln zwischen den Projekten das Unternehmen 40 % seiner Arbeitszeit.

Ich dachte mir, die Daten sprechen für sich, und jeder muss erkennen, dass die Performance des Teams darunter leidet, dass wir gleichzeitig an verschiedenen Dingen arbeiten.

Ich hatte mich geirrt.

Die Präsentation dieser Fakten brachte das Management in Verlegenheit.

Und damit hatte ich sträflich das erste Gesetz der Macht aus Robert Greenes „48 Regeln der Macht“ missachtet:

„Stelle nie den Meister in den Schatten: Ihre Vorgesetzten müssen sich Ihnen immer überlegen fühlen können. Wenn Sie sie beeindrucken wollen, dürfen Sie Ihre eigenen Talente nicht zu sehr zur Schau stellen, sonst erreichen Sie das Gegenteil: Sie wecken Angst und Unsicherheit. Sorgen Sie dafür, dass die da oben brillanter erscheinen, als sie sind, und Sie werden den Gipfel der Macht erklimmen.“

Die Erkenntnis dieser Erfahrung:

Die Geschichte selbst und, wer sie überbringt, sind wichtiger als die Fakten!

Wenn ich das nächste Mal in diese Situation komme, dann würde ich dem Rat von Patricia Kong, Todd Miller, Kurt Bittner und Ryan Ripley aus ihrem neuen Buch „Unlocking Business Agility with Evidence-Based Management: Satisfy Customers and Improve Organizational Effectiveness“ folgen:

„Teile neue Informationen so schnell wie möglich mit: Viele irrationale Reaktionen resultieren daraus, dass man überrascht oder überrumpelt wurde.“

Damit haben sie wohl recht.

Beim nächsten Mal würde ich vorab die Stakeholder im Sprint Review betrachten und sie mit einer Stakeholder-Matrix analysieren. Basierend auf dieser Analyse würde ich die „Latents“ und „Promoters“ vorab einbeziehen. Ich würde sie um ein Einzelgespräch bitten, ihnen dort die Daten zeigen und um ihre Interpretation und Einordnung bitten. Wenn ich ihre Ziele und ihre Motivation besser verstehe, könnten wir eine gemeinsame Geschichte für die Präsentation finden. Eine Geschichte, die niemanden bloßstellt, jeden gut dastehen lässt und somit nicht auf Ablehnung stößt.

Wenn du mehr über die Stakeholder-Matrix erfahren willst, dann wirf einen Blick auf meinen Artikel „Drohen uns jetzt Scrum-Silos? So stoppst du diesen beunruhigenden Trend frühzeitig und initiierst echte Zusammenarbeit mit Stakeholdern“. Dort erkläre ich sie detailliert.

Fakten lassen Menschen nicht rationaler handeln

Zusammengenommen zeigen mir diese beiden Erfahrungen:

Daten nehmen Emotionen nicht aus einem Gespräch. Im Gegenteil: Daten können unangenehme Wahrheiten offenlegen und damit sogar noch mehr Emotionen ins Gespräch bringen. Das bedeutet nicht, dass wir Daten vermeiden sollten.

Allerdings sollten wir mit großem Fingerspitzengefühl an Gespräche über Fakten herangehen.


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