Scrum ist tot.
Zumindest wenn wir LinkedIn glauben. Wie wirst du im Jahr 2025 dann noch Scrum Master? Ich arbeite seit 10 Jahren als Scrum Master, begleite andere Scrum Master oder verfolge ihre Karrieren. Davon möchte ich dir heute berichten.
Los geht’s:
Es gab eine Zeit, da hat es ausgereicht, …
- … zu warten, bis der Teamleiter eines Tages ins Büro kommt und fragt: „Wer will Scrum Master sein?“ Er komme gerade von der Strategiesitzung und seit heute sei eine große Beratungsfirma im Haus aktiv. Sie werde alles auf „agil“ umstellen und deshalb brauche auch unser Team ab heute einen Scrum Master.
- … eine zweitägige Schulung zu besuchen, um anschließend ein Zertifikat in der Hand zu halten, welches dein Scrum-Wissen bestätigt. Dieses Zertifikat hat sofort Türen geöffnet. Große Beratungsfirmen haben sich um diese frischgebackenen Scrum Master förmlich gerissen, sie eingestellt und an ihre Kunden verliehen, damit sie dort sofort drei Teams übernehmen konnten.
- … einfach ein Buch über Scrum zu lesen und von nun an das Projekt nach Scrum zu organisieren – im Bewusstsein, dass Scrum in seiner Reinform so natürlich nicht funktionieren wird. Aber morgens die Entwickler berichten zu lassen, woran sie gestern gearbeitet haben, war meist ausreichend, um als Experte in Sachen „Scrum“ im Unternehmen angesehen zu sein.
Auf den ersten Blick klingen die Szenarien überspitzt.
Allerdings habe ich alle drei genau so miterlebt. Natürlich stellen sie die Extreme meiner Arbeit dar. Bei allem Sarkasmus sollten wir aber nicht vergessen, worum es im Kern bei der Scrum Masterei geht. Scrum Master zu sein, ist nur ein fancy Wort dafür, Teams zu helfen, mit empirischem Handeln erfolgreich zu sein.
Dabei ist Handeln das Gebot der Stunde. Nichts anderes.
Und darin liegt auch der Weg, wie du heute noch Scrum Master werden kannst – in einer Zeit, in der KI-Berater LinkedIn mit Beiträgen wie „Agil ist tot“ und „Steigere die Produktivität deines Teams um 500 % mit diesen geheimen ChatGPT-Prompts“ überfluten.
Und so geht es im Jahr 2025:
Schritt #1: Mache Scrum
Ein Vorteil des KI-Booms?
Niemand interessiert sich mehr für Scrum. Das kann auch gut sein. Es gibt dir die Möglichkeit, dich auszuprobieren – ganz ohne Druck.
So probierst du dich aus:
- Leite in deinem Team doch mal eine Retrospektive an. Bitte die Mitglieder, sich am Ende der Woche darüber auszutauschen, was diese Woche gut lief, was schlecht lief und worauf sie nächste Woche achten wollen.
- Hilf deinem Team am Morgen, einen Plan für den heutigen Tag (und nur für heute!) zu machen. Gibt es etwas, wobei ihr euch unterstützen könnt?
- Lade die Stakeholder oder Kunden eures Projekts am Ende des Monats zu einem Review der bisherigen Ergebnisse ein. Bitte sie um Feedback für euer Team.
- Hilf deinem Team zu verstehen, was jetzt das nächste lohnenswerte Ziel sein sollte. Worauf kommt es den Stakeholdern wirklich an? Vielleicht gibt es Dinge, die sich seit dem Start des Projekts verändert haben?
Findest du Gefallen daran, dein Team in der Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit den Stakeholdern zu unterstützen?
Dann wird es Zeit für den nächsten Schritt:
Schritt #2: Lies den Scrum Guide
Und zwar Wort für Wort.
Der wichtigste Satz gleich vorweg:
„Kurz gesagt fordert Scrum, dass ein Scrum Master ein Umfeld fördert, in dem
- ein Product-Owner die Arbeit für ein komplexes Problem in ein Product-Backlog einsortiert;
- das Scrum Team aus einer Auswahl dieser Arbeit innerhalb eines Sprints ein wertvolles Inkrement erzeugt;
- das Scrum Team und dessen Stakeholder die Ergebnisse überprüfen und für den nächsten Sprint anpassen;
- diese Schritte wiederholt werden.“
Scrum ist einfach. Probiere es so aus, wie es ist, und finde heraus, ob seine Philosophie, Theorie und Struktur dabei helfen, Ziele zu erreichen und Wert zu schaffen.
Der Scrum Guide ist sehr kompakt und abstrakt geschrieben.
Wie sieht ein Product-Backlog aus? Was ist ein „Inkrement“? Wer sind „Stakeholder“? Dies sind die Dinge, die du kennen solltest. Wenn du weitere Erklärungen suchst, wirf einen Blick auf meine 19-teilige Artikelreihe „Scrum im Selbststudium“. Nachdem du alle Begriffe verstanden hast: Nutze den Scrum Guide. Lesen genügt nicht, um Scrum Master zu werden.
Du kannst Scrum nur verstehen, wenn du es anwendest.
In Schritt eins hast du bereits Erfahrungen mit der Durchführung der Scrum Events gesammelt. Jetzt geht es darum, dich zu verbessern. Nimm den Guide zur Hand und überlege dir, welchen Aspekt du beim nächsten Mal optimieren kannst.
Hier einige Fragen:
- Hast du die Verbesserung für die nächste Woche sichtbar gemacht, damit sie nicht in Vergessenheit gerät?
- Gibt es eine Möglichkeit, die Dinge, an denen das Team gerade arbeitet, sichtbar zu machen, damit Zusammenarbeit entstehen kann?
- Wie könnten wir das Feedback der Stakeholder so erheben, dass es nicht zu endlosen Wünsch-dir-was-Diskussionen ausartet?
- Wie können wir die Arbeit für diese Woche planen, ohne viel Zeit zu verschwenden?
Das Wiederholen von Schritt 1 und 2 beschreibt die Arbeit eines Scrum Masters ziemlich gut. Wir nennen es empirisches Handeln. Im Gegensatz zu anderen Managementphilosophien bedeutet es, ständig nach Möglichkeiten zu suchen, sich zu verbessern.
Der nächste Schritt hilft dir noch mehr dabei:
Schritt #3: Lerne von (und mit) anderen
Was meine ich damit?
Oben habe ich geschrieben, Scrum Masterei heißt, dem Team „zu helfen“. Zu helfen, mit empirischem Handeln erfolgreich zu sein. Also dem Team ständig zu helfen, die Frage: „Was können wir besser machen?“, zu beantworten, die Vorschläge der Teammitglieder auszuprobieren und den Erfolg zu bewerten.
Wie kann diese „Hilfe“ erfolgen?
Hierfür haben sich einige Vorgehensweisen bewährt:
- Facilitation
- Coaching
- Mentoring
- Veränderungen vorantreiben
Wenn du mehr über Coaching-Skills erfahren willst, dann empfehle ich dir Marcs und meinen Webcast als Einstieg. Hier gehts zum Webcast.
Ich habe diese Fähigkeiten gelernt, wie du jede Fähigkeit erlernen kannst: andere dabei beobachten und dann selbst ausprobieren. Deshalb habe ich diesen Schritt als „Lernen von und mit anderen“ betitelt.
Hier einige Möglichkeiten, von anderen zu lernen:
- Schließe dich „Communities of Practice“ in deinem Unternehmen an.
- Besuche (Coaching-)Camps oder ein Meet-up für Scrum Master in deiner Stadt.
- Melde dich zu einer Scrum-Master-Schulung an.
Die „Professional Scrum Master Advanced“-Schulung von Marc und mir in München bietet dir etwa viele Möglichkeiten, zu lernen, wie Scrum Master arbeiten, – und das Gelernte direkt auszuprobieren. Dazu widmen wir uns im Detail den Aufgaben eines Scrum Masters:
Im dritten Schritt dreht sich alles darum, deine Fähigkeiten zu verbessern. Dabei nicht nur auf Selbstreflexion zu setzen, sondern von der Erfahrung anderer Scrum Master zu profitieren.
Wenn du diesen Schritt nicht als Schritt siehst – also nicht als etwas, das du irgendwann abgeschlossen hast –, sondern als Lebensaufgabe, dann bist du bereit für den nächsten Schritt:
Schritt #4: Bewirb dich auf eine Scrum-Master-Position
Hierfür stehen dir viele Möglichkeiten offen.
Hier einige als Übersicht:
- Gehe zu deiner Führungskraft und besprich mit ihr deine Karriereentwicklung.
- Schaue im Intranet, ob in deinem Unternehmen Scrum Master oder Agile Coaches gesucht werden.
- Bewirb dich auf eine Stellenanzeige bei einem anderen Unternehmen.
Und jetzt kommt der entscheidende Unterschied:
Noch vor einigen Jahren hättest du mit diesem Schritt beginnen können und ich denke, du hättest bereits gute Chancen auf eine Stelle gehabt. Im Jahr 2025 funktioniert das nicht mehr.
Was aber funktioniert, ist, diesen Schritt wirklich als vierten Schritt zu gehen. Der entscheidende Unterschied? Da du in den letzten Monaten und Jahren die letzten Schritte gegangen bist, kannst du im Vorstellungsgespräch die Frage: „Welche Erfahrung bringen Sie als Scrum Master mit?“, gut beantworten:
- Beschreibe deine ersten Versuche, Scrum im Team einzuführen.
- Beschreibe, was gut funktioniert hat, was deine Arbeit dem Team und dem Unternehmen ermöglicht hat.
- Beschreibe auch, was du beim nächsten Mal besser machen wirst.
Spätestens, wenn du dich in Bewerbungsgesprächen befindest, rückt diese Frage in den Vordergrund:
Warum willst du Scrum Master werden?
Die Beantwortung ist der letzte Schritt.
Schritt #5: Habe ein starkes „Warum“
Im Jahr 2025 sollte die Antwort auf diese Frage nicht mehr lauten:
- Ich will einen angesagten und zukunftssicheren Job.
- Ich will in der IT arbeiten, obwohl mich Softwareentwicklung nicht begeistert.
- Ich will viel Geld verdienen, ohne Erfahrung mitbringen zu müssen.
Letzter Antrieb ist nur noch „KI-Beratern“ vorbehalten.
Im Jahr 2025 wirst du nicht Scrum Master wegen des Geldes oder, weil es trendig ist, sondern weil du Teams helfen willst, sich tagtäglich zu verbessern.
Alles andere hat nichts mit Scrum zu tun.