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Wie du als Scrum Master Feedback gibst, ohne zu verwirren oder unaufrichtig zu wirken – und damit blinde Flecken aufdeckst

November 27, 2023

Erste Agile-Coaching-Weisheit:

„Menschen sträuben sich gegen Veränderung, wenn sie den Grund dafür nicht sehen können.“

Diese Weisheit wurde mir erst kürzlich wieder bewusst:

Vor einiger Zeit waren meine Frau und ich beim Italiener essen. Wir saßen am Fenster und hatten gleichzeitig einen guten Blick auf den Steinofen in der Mitte des Restaurants. Von meinem Platz aus konnte ich den Pizzabäckern bei der Arbeit zusehen, was mich bereuen ließ, Spaghetti gewählt zu haben. Plötzlich riss mich meine Frau aus meinen Tagträumen. Sie deutete auf mein Kinn und sagte: „Schatz, du hast da was. Mach es weg.“ Da ich nichts sehen konnte, stand ich auf und ging zur Toilette. Als ich die verirrte Tomatensoße auf meinem Kinn im Spiegel sah, wusste ich, was sie gemeint hatte, und griff zu den Papiertüchern.

Diese Situation im Restaurant, ist auch, was ich in meiner täglichen Arbeit beobachte:

Menschen wollen sich verändern.

Was ich allerdings auch beobachte: Menschen sträuben sich gegen Veränderung, wenn sie den Grund dafür nicht kennen. Erst wenn sie diesen selbst sehen können, dann erkennen sie die Notwendigkeit, sich zu verändern.

Wie kannst du dir diese Einsicht in deiner Arbeit als Scrum Master zunutze machen?

Als Scrum Master verkörperst du die stetige Veränderung.

Deine Aufgabe im Team und im Unternehmen ist es, Veränderung hin zu mehr Agilität, Kundenzentriertheit und Teamarbeit voranzutreiben. Aber solange du den Teammitgliedern die Gründe dafür nicht aufzeigen kannst, werden sie vor dieser Veränderung wahrscheinlich zurückschrecken.

Die gute Nachricht: Die Gründe sind da. Die schlechte, sie verbergen sich außerhalb des Sichtbereichs des Teams. Sie stellen noch blinde Flecken dar. Willst du als Scrum Master Veränderung vorantreiben, dann decke die blinden Flecken für dein Team auf. Für mich ist es das, was im Kern die Arbeit eines Scrum Masters ausmacht. 

Wie du dabei vorgehst? Gib Feedback.

Feedback zu geben, ist eine einfache und schnelle Möglichkeit, blinde Flecken sichtbar zu machen.

Aber Achtung:

Eine Lektion, wie du kein Feedback geben solltest

Wenn ich „Feedback geben“ schreibe, welche Methode kommt dir sofort in den Sinn?

Die Chancen stehen gut, dass du gerade an das Feedback-Sandwich-Format denkst. Der Name bezieht sich auf eine Methode, bei der Kritik zwischen zwei positiven Bemerkungen eingebettet wird. Ich habe noch nie eine Schulung über Mitarbeiterführung besucht, in der dieses Format nicht angepriesen wurde. Ich glaube, diese Methode ist so populär, weil sie als ein sanfterer Weg angesehen wird, um Kritik zu überbringen.

So zumindest die Theorie.

In der Praxis habe ich noch nie ein Performance-Review, Mitarbeitergespräch oder eine Leistungsbeurteilung miterlebt, bei der die so angebrachte Kritik gut aufgenommen wurde.

Was ich erlebt habe:

  • Verwirrung: Wenn Führungskräfte ein bestimmtes Verhalten ansprechen wollten, das verbessert werden sollte, und sie dies zwischen zwei positiven Bemerkungen verpackten, dann überhörten Mitarbeiter diese häufig. Und wenn sie es nicht überhörten, dann waren sie verwirrt. Nach dem Gespräch wussten sie häufig nicht mehr, welches Verhalten nun eigentlich negativ und welches positiv aufgefallen war.
  • Unaufrichtigkeit: Erhielten Mitarbeiter häufig Feedback in Form des Feedback-Sandwichs, dann empfanden sie die positiven Bemerkungen irgendwann eher als „Verpackung“. Dies konnte dazu führen, dass den positiven Bemerkungen immer weniger Glauben geschenkt wurde. Und manchmal ging es sogar so weit, dass die Führungskraft insgesamt als unaufrichtig wahrgenommen wurde.

Durch die vielen Feedbackgespräche, die ich selbst geführt oder an denen ich als Moderator teilgenommen habe und in denen mir Verbesserungspotential aufgezeigt wurde, bin ich zu zwei Einsichten gekommen:

  1. Lerne Feedback zu erhalten, damit du dir der Auswirkung von Feedback bewusst bist.
  2. Statt dem Feedback-Sandwich verwende meine BEH-Methode, um Feedback zu geben.

Nun die Einsichten im Detail und mit Übungen, wie du sie für dich nutzen kannst:

Einsicht 1: Lerne Feedback zu erhalten, damit du dir der Auswirkung von Feedback bewusst bist

Bevor du Feedback gibst, lerne Feedback anzunehmen.

Mit Kritik umzugehen ist schwieriger als du denkst, nimm es nicht auf die leichte Schulter. Deshalb mein Tipp: Beginne mit kleinen Schritten. Vor einigen Jahren wollte ich meine Facilitation-Technik verbessern. Deshalb habe ich über ein Jahr nach jedem Scrum Event oder Meeting, welches ich moderiert habe, Feedback eingeholt.

Dabei bin ich in drei Schritten vorgegangen:

  1. Nach jedem Meeting habe ich mir aufgeschrieben, was meiner Meinung nach gut und schlecht lief. Ich habe mich gefragt: „Was hat das Meeting effektiv gemacht? Wie habe ich dazu beigetragen?“
  2. Danach habe ich mindestens einen Teilnehmer des Meetings gefragt: „Was hast du beobachtet, was habe ich gemacht?“
  3. Zum Schluss habe ich den Teilnehmer gebeten, mir konkrete Vorschläge für Verbesserungen zu nennen, damit ich in Zukunft das Meeting noch besser moderieren konnte.

Diese Methode hat mir geholfen, meine „Feedback-Fähigkeit“ langsam zu steigern.

Zu Beginn habe ich nur ein Teammitglied gefragt. Später dann das ganze Team, bei dem ich die ROTI-Feedbackstrahl-Methode verwendet habe. Zu Beginn habe ich nur vertraute Arbeitskollegen aus dem Team um Verbesserungen gebeten. Später dann in Sprint Reviews auch Personen aus dem Management oder direkt unsere Kunden, die bei den Meetings waren.

Dieses Jahr habe ich gesehen, wie schwierig es ist, Feedback immer mit offenen und wohlwollenden Ohren zu hören. Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, dass Feedback auf Beobachtungen fußt und nicht auf Meinungen. Ich habe erkannt, dass ich nur etwas verbessern kann, wenn der Vorschlag sehr konkret ist.

Deshalb mein Appell an dich: Bevor du als Scrum Master Feedback gibst, um Teammitglieder auf blinde Flecken hinzuweisen, trainiere erst einmal, Feedback zu erhalten.

Einsicht 2: Statt des Feedback-Sandwichs, verwende meine BEH-Methode, um Feedback zu geben

Wenn die Feedback-Sandwich-Methode zu Verwirrung führt und als unaufrichtig wahrgenommen wird, wie solltest du dann Feedback geben?

Hier meine bewährte Methode. Ich nennen sie BEH-Feedback-Methode, um mir die Schritte besser merken zu können. Ich erkläre dir die Methode anhand vier unterschiedlicher Gesprächsverläufe, so siehst du sie gleich in Aktion.

Gesprächsverlauf 1:

Scrum Master: „Das Daily Scrum hätte besser sein können.“

Teammitglied: „Okay?!?“

Das Feedback besteht hierbei aus Kritik ohne Begründung.

Gesprächsverlauf 2:

Scrum Master: „Mir ist aufgefallen, dass das Daily Scrum 30 Minuten gedauert hat.“

Teammitglied: „Stimmt. Ist mir nicht aufgefallen. Ich denke beim nächsten Mal daran. Danke!“

Das Feedback besteht hier aus einer Beobachtung.

Gesprächsverlauf 3:

Scrum Master: „Mir ist aufgefallen, dass das Daily Scrum 30 Minuten gedauert hat.“

Teammitglied: „Und???“

Scrum Master: „In unseren Working-Agreements haben wir uns als Team darauf geeinigt, dass das Daily Scrum 15 Minuten nicht überschreiten sollte, damit wir fokussiert bei der Sache bleiben können.“

Teammitglied: „Stimmt. Ich denke beim nächsten Mal daran. Danke!“

Das Feedback besteht hier erstmal aus einer Beobachtung und dann aus einer Erwartung.

Gesprächsverlauf 4:

Scrum Master: „Mir ist aufgefallen, dass das Daily Scrum 30 Minuten gedauert hat.“

Teammitglied: „Und???“

Scrum Master: „In unseren Working-Agreements haben wir uns als Team darauf geeinigt, dass das Daily Scrum 15 Minuten nicht überschreiten sollte, damit wir fokussiert bei der Sache bleiben können.“

Teammitglied: „Wie soll das gehen? Wir sind 8 Personen im Meeting, da hat dann jeder weniger als 2 Minuten, um etwas zu sagen?“

Scrum Master: „Wir könnten erstmal nur Stories besprechen, die direkt auf das Sprint-Ziel einzahlen. Wollen wir das im nächsten Daily Scrum gemeinsam versuchen?“

Das Feedback besteht in dieser Situation aus einer Beobachtung, einer Erwartung und einem Hilfsangebot zur Verbesserung der Situation.

Dies bezeichne ich als die BEH-Feedback-Methode:

Gutes Feedback besteht aus Beobachtung, Erwartung und einem Hilfsangebot!

Mein Appell an dich: Feedback als konkretes Hilfsangebot formulieren. Veränderung fällt Menschen leichter, wenn sie nicht allein sind. Biete ihnen diese Unterstützung an. Diese Eigenschaft beschreibt der Scrum Guide, wenn er Scrum Master als Personen beschreibt, die führen und dienen.

Gemäß der zweiten Agile-Coaching-Weisheit:

„Wenn du schnell gehen willst, geh allein. Wenn du weit gehen willst, geh zusammen.“


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