Online-Communities liegen im Trend.
Ich selbst bin in mindestens 15 Communities angemeldet. Ich bin Teil von Communities zu Scrum, Produktmanagement, Liberating-Structures, Schreiben, „Training from the Back of the Room“ und noch vielen weiteren. Aber wenn ich ehrlich mit dir sein darf:
Nur die wenigsten Communities sind wertvoll.
Ich erkenne es an den unzähligen ungelesenen Beiträgen und Nachrichten. Ein klares Zeichen dafür, dass mein letzter Besuch schon ewig her sein muss. Als Marc vorgeschlagen hat, auch eine Community aufzubauen, war mein erster Gedanke: „Oje, noch ein Slack, in dem sich nach einigen Tagen nur mehr Gespenster tummeln.“ Deshalb habe ich mir Gedanken gemacht und viel recherchiert, was eine Online-Community wertvoll macht und warum ich in einigen gerne meine Zeit verbringe und andere Benachrichtigungen nur noch als nervig empfinde.
Natürlich überlebt auch die bestgeplante Community den Kontakt mit den Mitgliedern nicht ohne Blessuren.
Und von diesen Erkenntnissen und Lektionen will ich heute berichten. Also: Wenn auch du mit dem Gedanken spielst, eine Community zu gründen, du damit Geld verdienen willst oder du einfach nur Scrum-Master-COPs wieder neues Leben einhauchen willst, dann ist dieser Beitrag für dich.
Nun zu den Lektionen:
Lektion #1: Ohne gemeinsames Ziel wird die Community schnell still
Es gibt zwei Arten von Communities.
Bei der ersten trittst du bei, schaust in den Hauptkanal und alle Nachrichten ähneln sich:
„Hi! Ich bin Johan aus Dortmund. Bin Agile Coach und in meiner Freizeit mag ich Reiten und Reisen.“
Die Vorstellungen werden nur unterbrochen von gelegentlicher Werbung für Trainings und Coachings oder dem Reposting von Artikeln aus LinkedIn, dass „Agile“ heute mal wieder gestorben ist.
Dann gibt es andere Communities.
Dort trittst du bei, im Hauptkanal findest du Bilder und Berichte von Events, die Mitglieder der Community auf die Beine gestellt haben. Die Diskussionen in Threads sind so lang, dass sich daraus problemlos ein Buch schreiben ließe. Und du fühlst dich von Minute eins an in der richtigen Gesellschaft, obwohl du niemanden kennst.
Was unterscheidet die beiden Situationen?
Diese Frage habe ich mir auch lange gestellt. Ist es der Austausch? Sind es die „richtigen“ Leute? Ist es gar die Plattform? Macht Cycle anstatt Slack doch so einen Unterschied?
Nein. Es ist das gemeinsame Ziel. Klingt erst einmal trivial. Aber hast du dich mal gefragt: Wozu bist du in dieser Community? Wozu sind die anderen Mitglieder hier? Und stimmt euer „Wozu“ überein?
Deshalb ist die wichtigste Zutat für eine erfolgreiche Community ein gemeinsames Ergebnis. Erst wenn alle auf das gleiche Ziel hinarbeiten, entstehen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und gegenseitige Motivation. Denk an den Fußballverein in deiner Nachbarschaft, die Aktivistengruppe aus deinem Studium oder die Elterninitiative in der Kita deiner Kinder.
Allerdings ist ein gemeinsames Ergebnis nicht genug. Es braucht ein Ergebnis, von dem idealerweise jedes Mitglied persönlich profitiert. Wenn die Mitglieder die Erfolge der anderen sehen – und diesen Erfolg auch für sich wollen –, bleiben sie wirklich am Ball. Denke nur an LinkedIn. Laut HubSpot werden 85 % aller Stellen über Networking besetzt. Tatsächlich werden laut CNBC 70 % aller Stellen nie öffentlich ausgeschrieben.
Somit ist der persönliche Vorteil der Mitglieder der Schlüssel zum Aufbau einer erfolgreichen Community.
Oder nochmal in anderen Worten ausgedrückt: Austausch allein genügt als Ergebnis nicht, sondern du brauchst handfeste Vorteile wie Karrierechancen oder finanzielle Erfolge.
Darüber habe ich lange nachgedacht. Und das Ziel des PSM3-Bootcamps war die Vorbereitung – jedes Einzelnen – auf die PSM-III-Prüfung. Eine bestandene PSM-III-Prüfung ermöglicht Scrum Mastern – neben der Anerkennung – neue Karrierechancen und somit vielleicht auch ein besseres Gehalt oder eine höhere Jobsicherheit.
Dieses Ziel haben wir auf der Verkaufsseite jedem Interessenten versprochen, so sicher waren wir uns, dass das Ergebnis jeden zur Höchstleistung motivieren wird.
„Und jetzt unser Versprechen: Unser spezielles Angebot an dich lautet: Wenn du das PSM-3-Bootcamp erfolgreich absolvierst und innerhalb von 14 Tagen die PSM-3-Prüfung bestehst, dann bekommst du 100 % deiner Investition bei uns zurückerstattet.“
Deshalb mein Tipp:
Überlege dir, bevor du eine Community ins Leben rufst, nicht, welche Plattform du nutzen willst, sondern was das gemeinsame Ergebnis ist, auf das die Community hinarbeitet – und von dem jeder profitiert. Nur dann entstehen ein echtes „Wir-Gefühl“ und nachhaltige Motivation.
Und was ist mit Austausch? Dazu kommen wir jetzt:
Lektion #2: Gespräche entstehen nicht von selbst – du musst sie anstoßen
Im Zeitalter von KI kann Content nicht das Herzstück einer Community sein.
Es ist die Interaktion.
Allerdings nicht zwingend der Austausch in großen Gruppen. Im Podcast mit Nathan Barry erklärt Gina Bianchini, Gründerin von Mighty Networks, wie wichtig der Austausch von Angesicht zu Angesicht in Form von Kommentaren, Direktnachrichten und Videocalls ist. Unterm Strich zeichnet eine erfolgreiche Community aus, wie viele Eins-zu-eins-Verbindungen die Mitglieder eingehen – und zwar in möglichst kurzer Zeit.
Mit dieser Erkenntnis haben Marc und ich das Bootcamp so aufgesetzt, dass diese Verbundenheit von Minute eins an im Camp ermöglicht oder fast schon erzwungen wurde.
Hier drei Maßnahmen, die wir ergriffen haben:
- Jeden Tag gab es eine Prüfungsfrage, die jeder Teilnehmer beantworten musste. Aber das war nicht genug, denn jeder musste auch mindestens zweimal Feedback auf die Antworten von anderen geben. Dies war eine Grundvoraussetzung, um das Camp erfolgreich abzuschließen.
- Zweimal die Woche gab es abends eine Live-Session, in der das Thema der Woche besprochen wurde, mit vielen Break-out-Sessions, um mit anderen Teilnehmern zusammenzuarbeiten und ins Gespräch zu kommen.
- Bereits am zweiten Tag des Camps hat jeder Teilnehmer einen Learning-Buddy zugelost bekommen, mit dem er sich wöchentlich austauschen sollte.
Besonders der letzte Punkt – dachte ich – wäre wichtig für eine erfolgreiche Community. Denn neben Austausch und Verbundenheit sollte es auch den Lernerfolg verbessern:
Denn im Jahr 2025 haben Jones und ihre Kollegen eine Studie an der University of British Columbia durchgeführt, in der sie die Wirkung eines freiwilligen Study-Buddy-Programms auf den Studienerfolg in naturwissenschaftlichen Kursen untersuchten. Dabei kamen sie zum Ergebnis: Studierende, die im Team lernten, schnitten in der Abschlussprüfung durchschnittlich über 2 % besser ab als vergleichbare Studierende, die alleine lernten. In vier von sieben untersuchten Kursen lag der Vorteil für Teilnehmende sogar bei über 3 %, was laut Autorinnen häufig einer vollen Notenstufe entspricht.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich diesen Einfluss wohl überschätzt habe.
Auf den ersten Blick zeigen die Daten zwar regen Austausch durch Direktnachrichten:
Allerdings wählten in den wöchentlichen Umfragen auf die Frage: „Welchen Teil des Bootcamps möchtest du auf keinen Fall missen?“, nur 8 % „den Lernbuddy“, während „Live-Sessions & Coaching“ von mehr als 50 % genannt wurde.
Daraus schließe ich, dass die Interaktion mit Marc und mir und in einer größeren Gruppe doch wichtiger ist als der Learning-Buddy.
Deshalb mein Tipp:
Nachdem du ein gemeinsames Ergebnis für deine Community gefunden hast, überlege dir, wie du häufigen Austausch unter den Mitgliedern ermöglichen kannst.
Nun zur letzten Lektion:
Lektion #3: Fortschritt sichtbar zu machen, hält Mitglieder aktiv
Eine Sache habe ich beim Aufbau der Community total unterschätzt.
Naiv dachte ich, tägliches Feedback von Mitgliedern, ein Fortschritts-Tracker und punktuelle Unterstützung durch Marc und mich würden für genug Motivation und Fortschrittsgefühl reichen.
Dass ich mich irrte, zeigt der Abfall des Net Promoter Scores nach Woche 1 von 37 auf 22 Punkte. Hier die Details:
Woche 1
- Promoter: 50,0 %
- Passive: 37,5 %
- Detraktoren: 12,5 %
Woche 2
- Promoter: 33,3 %
- Passive: 55,6 %
- Detraktoren: 11,1 %
In Woche 2 haben wir einige Fans verloren. Die qualitative Auswertung zeigt den Grund:
- „Dass ich leider nicht weiß, ob die Antwort richtig ist. Zu kurz oder zu lang?“
- „Die richtige Tiefe in den Antworten zu finden. Und mir fehlt eine Referenzantwort von euch für jede Frage. Ich weiß nicht, ob ich auf dem richtigen Weg bin.“
- „Feedback zu den Antworten. Feedback von Kollegen ist ja gut und recht, aber […]“
Ob den Teilnehmern sichtbarer Fortschritt oder Anerkennung für ihre Leistung fehlte, kann ich nicht sagen. Am Ende denke ich: Es stand für sie viel auf dem Spiel. Beinhaltet das Ziel der Community einen persönlichen Vorteil für jedes Mitglied, dann birgt das auch eine Kehrseite: Mitglieder befürchten schnell, von der Community nicht zu profitieren.
Um diesem Feedback gerecht zu werden, haben wir ein Bewertungssystem etabliert.
Die Rückmeldungen darauf waren gemischt:
- „Was ich mich jedoch frage: Meine Antwort auf die gestellte Frage ging in die gleiche Richtung. Es gab jedoch kein positives Feedback.“
- „Danke für die Erklärung. Dann weiß ich Bescheid, warum ich noch nie einen Daumen hoch erhalten habe.“
Meine Lektion daraus:
Mechanismen für Status und Fortschritt sind im Community-Aufbau wichtig.
Für die nächste Kohorte überlege ich, ob ein Rankingsystem oder irgendein anderer Mechanismus aus Computerspielen hier helfen könnte. Vielleicht Auszeichnungen oder Bonuspunkte. (Willst du beim nächsten Bootcamp dabei sein? Dann setze dich hier auf die Warteliste.) Diese Studie belegt das. 90 % der Mitarbeitenden sagen, dass Gamification sie bei der Arbeit produktiver macht.
Daran habe ich beim Planen der Community aber bisher nicht gedacht.
Das sind meine drei Lektionen – und ich bin sicher: Ich habe noch längst nicht alles verstanden.