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Annahmen machen blind! So überwinden Scrum Master diese verborgene Gefahr in 5 Schritten

February 15, 2024

Schwimmen zwei junge Fische dahin und treffen zufällig auf einen älteren Fisch, der in der Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: „Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?“ Die zwei Jungen schwimmen eine Weile weiter und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und sagt: „Was zum Teufel ist Wasser?“

So beginnt das Buch „Das hier ist Wasser – Anstiftung zum Denken“ von David Foster Wallace. Die beiden jungen Fische haben noch einen blinden Fleck. Sie haben einen wichtigen Aspekt übersehen. Ihnen fehlt noch ein Puzzleteil, um die Situation vollständig zu verstehen.

Scrum Mastern, die Unternehmen verändern wollen, geht es ähnlich. Jede neue Erkenntnis und jede zusätzliche Information über ihr Team hilft ihnen, einen Schritt weiterzukommen.

Um Veränderung im Unternehmen anzustoßen, braucht es eine Entdeckermentalität. Das erste Ziel besteht immer darin, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Das ist einer der Gründe, warum sehr intelligente Menschen oft keine guten Scrum Master sind. Ihnen fehlt es meistens an der nötigen Demut. Diese Scrum Master glauben, es gäbe für sie nichts Neues zu entdecken. Du erkennst es an Sprüchen wie: „Das kann wohl nicht so schwierig sein, das Team muss jetzt einfach mal performen.“

Oft finden es Menschen einfacher, sich an ihre vorgefassten Meinungen zu halten als offen für neue Erkenntnisse zu bleiben. Sie treffen Annahmen über Menschen im Team oder im Unternehmen. Diese Annahmen basieren auf Hörensagen oder auf ihren Vorurteilen. Sie bilden diese Meinungen, noch bevor sie die betreffenden Personen kennengelernt haben. Und wenn eine Beobachtung nicht zu ihrer vorgefassten Meinung passt, wird sie ignoriert. Das ist gefährlich:

Frühzeitig Annahmen zu treffen, ist eine Gefahr für jeden Scrum Master.

Sie machen uns blind. Annahmen vereinfachen die Situation – mit dem Resultat, ein unzutreffendes Bild der wahren Situation zu erhalten. Deshalb sollten Scrum Master daran arbeiten, diese blinden Flecken aufzudecken. Erfolgreiche Scrum Master sind in der Lage, selbst gängige Annahmen noch zu hinterfragen.

Sie sind Entdecker wie Galileo Galilei.

Jahrhundertelang nahmen die Menschen an, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht und alle anderen Himmelskörper um sie kreisen. Dieser blinde Fleck wurde erst durch Galileo Galilei im 17. Jahrhundert aufgedeckt. Durch Beobachtungen der Jupitermonde zeigte er, dass nicht alle Himmelskörper um die Erde kreisen. Damit lieferte er wesentliche empirische Belege dafür, dass die Sonne den Mittelpunkt des Universums darstellt. Seine Entdeckung war dabei so unbequem für die Katholische Kirche, dass er in einem Prozess im Jahr 1633 seine Entdeckung revidieren musste. Trotz seines Widerrufs legten seine Beobachtungen den Grundstein für das Verständnis des Universums, so wie wir es heute kennen.

Hier sind fünf Schritte, die dir helfen können. Sie dienen dazu, Annahmen zu entlarven. Mit ihrer Hilfe kannst du herausfinden, was du möglicherweise in verschiedenen Situationen übersehen hast. Dazu zählen Gespräche mit Teammitgliedern, das Coaching des Product Owners und Unterhaltungen mit Stakeholdern.

Los geht es:

Schritt 1: Beobachten – Was siehst du, nicht was denkst du

Verwechselst du manchmal Sehen mit Denken?

Eine typische Situation: Das Scrum Team zweifelt am Wert eines täglichen Daily Scrums und entschließt sich, sich nur noch jeden zweiten Tag zu treffen. In dieser Situation springt für uns Scrum Master schnell das Gedankenkarussell an: „Das ist nicht mehr Scrum! Wie sollen wir jetzt unsere tägliche Zusammenarbeit koordinieren? Was ist, wenn wir deshalb das Sprint-Ziel nicht erreichen?“

Wir vermischen beobachtbare Tatsachen mit unserer Interpretation. Wir treffen Annahmen!

Damit das nicht passiert, ist es hilfreich, Beobachtungen klar von Interpretationen zu trennen. Willst du dich rein auf die Beobachtung konzentrieren, hilft dir diese Frage:

Angenommen, du würdest mit einer Kamera die Situation filmen, was wäre zu sehen? Beschreibe: Was geschieht, wer ist anwesend, wann findet die Szene statt, was wird gesagt?

Schritt 2: Die 7 W-Fragen – Übersieh kein Detail

Hast du ein Detail vergessen?

Um dies zu überprüfen, helfen dir die 7 W-Fragen.

Gehe die Situation noch einmal in Gedanken durch und beantworte dabei:

  • Was wissen wir jetzt? Was sollten wir noch hinterfragen?
  • Wer war beteiligt? Wer ist von der Situation noch betroffen?
  • Wo ist die Situation aufgetreten?
  • Wann ist die Situation aufgetreten? Handelt es sich dabei um das erste Mal?
  • Warum ist die Situation aufgetreten?
  • Wozu ist die Situation von Bedeutung? Was wird dadurch ermöglicht?
  • Wie kann die Situation verbessert werden?

Die 7 W-Fragen helfen uns, die Situation sachlich zu betrachten. Wollen wir die Gefühlswelt der beteiligten Personen einbeziehen, dann hilft das Empathy Map Canvas.

Schritt 3: Empathy Map – Konzentriere dich auf dein Gegenüber

Nachdem du eine Situation beobachtet hast, widmest du dich den beteiligten Personen.

Dieser Schritt ist wichtig. Wir machen uns oft das Leben leicht. Dazu nutzen wir Stereotype oder vorgefasste Meinungen. Mit ihrer Hilfe versuchen wir, die beteiligten Personen in einer Situation zu verstehen. Etwa: „Designern geht es nur darum, dass es schön ist. Sie vernachlässigen total, dass wir jetzt auch endlich mal liefern müssen.“

Das Empathy Map Canvas hilft dir, die Welt durch die Augen deines Gegenübers zu sehen und dadurch frühzeitig Annahmen aufzudecken.

  • Um wen geht es? (Situation, Rolle)
  • Was sollte diese Person tun? (Aufgaben, Verantwortungen, Entscheidungen)
  • Was sieht sie? (Direktes Umfeld, Kollegen, Unternehmen, Markt)
  • Was sagt sie? (Aussagen, geschriebene Kommunikation)
  • Was tut sie? (Verhalten, Aufgaben)
  • Was hört sie? (Kollegen, Vorgesetzte, Teammitglieder, Medien)
  • Was denkt und fühlt sie? (Ängste, Frustrationen, Träume, Wünsche, Motivationen)

Nun darfst du interpretieren:

Schritt 4: Interpretation – So deutest du die Situation

Nun wechselst du vom Beobachten zum Interpretieren.

Du wechselst also vom Sehen zum Denken. Dazu laden dich solche Fragen ein:

  • Wie deutest du diese Situation? 
  • Was findest du überraschend? 
  • Welche Erkenntnisse kannst du für dich gewinnen? 
  • Welche Auswirkungen könnte es auf dich haben?

Der bewusste Wechsel vom Beobachten zum Interpretieren hilft dir zu erkennen, wenn du beginnst, Annahmen zu treffen. Die gesammelten Interpretationen sind erstmal nur Annahmen! Wenn wir hier aufhören, hast du nicht viel gewonnen. Du hast deine blinden Flecken immer noch mit Annahmen abgedeckt.

Um sie aufzudecken, hilft dir der letzte Schritt:

Schritt 5: Interview-Canvas – Frage nach

Im letzten Schritt geht es darum, das Gespräch zu suchen und die Annahmen zu überprüfen.

Zu Beginn des Gesprächs solltest du unbedingt hervorheben, dass du nicht vorhast, die Situation zu bewerten. Dein Ziel ist nur, die Beweggründe zu erfahren. Sei ehrlich. Erkläre, dass du noch einige lose Fäden in der Hand hältst. Du willst diese Fäden so wahrheitsgetreu wie möglich miteinander verbinden.

Hier die Fragen, die dir helfen, dich auf das Gespräch vorzubereiten:

  • Wie kann ich eine Beziehung zu meinem Gegenüber aufbauen, damit es sich wohlfühlt und mir seine Sicht der Situation schildert?
  • Welche Annahmen habe ich über die Person in dieser Situation getroffen (Schritt 4)?
  • Welche Fragen sollte ich stellen, um die wahren Beweggründe zu verstehen? Dies hilft mir, meine Annahmen zu bestätigen oder zu entkräften (Schritt 3).

Mit den vorbereiteten Fragen suchst du ein kurzes Gespräch. Ich bin mir sicher, dass das Ergebnis viele neue Erkenntnisse sein werden.

Unternehmen als Scrum Master verändern: So kann es weitergehen

Dieser Artikel ist Teil der Reihe, wie Scrum Master das Unternehmen positiv verändern können.

Hier weitere Impulse dazu:

Für mich fußt die Scrum-Master-Haltung, das Unternehmen positiv zu verändern, auf der Prämisse von Marshall B. Rosenberg:

Alle Menschen wollen verstanden und akzeptiert werden.

Meine jahrelange Erfahrung im Umgang mit Menschen in Teams hat mir dies bestätigt: Menschen, die das Gefühl haben, dass ihnen zugehört wird, hören auch selbst aufmerksamer zu. Sie sind eher bereit, ihre Gedanken und Gefühle offenzulegen und zu reflektieren. Die Forschung im Bereich der Psychotherapie unterstützt diese Beobachtung. Sie zeigt, dass Menschen mit dem Gefühl, gehört zu werden, weniger verteidigend agieren. Ihre Abwehrhaltung nimmt ab. Dadurch sind sie offener für andere Standpunkte und können besser darauf eingehen.

Das ist der Startpunkt für eine positive Veränderung!


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