Scrum wird häufig missverstanden. Viele Organisationen führen Scrum mit der Erwartung ein, dass damit automatisch Probleme verschwinden: ineffiziente Prozesse, schlechte Kommunikation, unklare Anforderungen oder unzufriedene Kunden. Wenn sich diese Hoffnungen nicht erfüllen, heißt es schnell: „Scrum funktioniert bei uns nicht.“
Doch genau hier liegt der Denkfehler.
Scrum ist kein Problemlöser. Scrum ist ein Problemanzeiger.
Scrum als Spiegel der Organisation
Scrum ist ein leichtgewichtiges Framework mit wenigen Regeln, klaren Rollen und festen Ereignissen. Gerade diese Einfachheit wirkt wie ein Spiegel: Alles, was vorher durch Prozesse, Hierarchien oder Tooling verdeckt war, wird plötzlich sichtbar.
- Fehlende Entscheidungen?
- Unklare Prioritäten?
- Abhängigkeiten zwischen Teams?
- Mangelndes Vertrauen?
- Technische Schulden?
Scrum bringt diese Themen ungeschönt an die Oberfläche. Nicht, weil Scrum schlecht funktioniert – sondern weil es ehrlich funktioniert.
Warum sich Scrum oft „schmerzhaft“ anfühlt
Viele Probleme existieren schon lange, bevor Scrum eingeführt wird. Klassische Projektstrukturen kaschieren sie häufig:
- Deadlines überdecken schlechte Planung
- Überstunden kompensieren ineffiziente Prozesse
- Detailvorgaben ersetzen echtes Verständnis
- Statusberichte erzeugen eine Illusion von Kontrolle
Scrum entfernt diese Schutzschichten. Plötzlich müssen Teams regelmäßig liefern, offen kommunizieren und Verantwortung übernehmen. Das kann unbequem sein – vor allem für Organisationen, die an Schuldzuweisungen oder Silodenken gewöhnt sind.
Die Rolle der Scrum-Events: Probleme sichtbar machen
Jedes Scrum-Event hat genau diese Funktion:
- Sprint Planning zeigt, ob Prioritäten klar sind und ob das Team realistisch planen kann
- Daily Scrum macht Hindernisse und Abhängigkeiten transparent
- Sprint Review legt offen, ob echter Kundennutzen entsteht
- Retrospektive bringt strukturelle, zwischenmenschliche und organisatorische Probleme ans Licht
Wenn diese Events als „Zeitverschwendung“ empfunden werden, ist das oft ein Zeichen dafür, dass unbequeme Wahrheiten sichtbar werden.
Scrum löst keine Probleme – Menschen tun es
Scrum gibt keine Antworten. Es stellt Fragen.
Die eigentliche Arbeit beginnt nachdem Scrum ein Problem sichtbar gemacht hat:
- Sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen?
- Sind wir bereit, Prozesse zu verändern?
- Sind Führungskräfte bereit, Macht abzugeben?
- Sind Teams bereit, sich weiterzuentwickeln?
Ohne diesen Willen bleibt Scrum ein leeres Ritual – oder wird zum Sündenbock.
Das eigentliche Versprechen von Scrum
Scrum verspricht nicht:
- höhere Geschwindigkeit
- perfekte Planung
- konfliktfreie Zusammenarbeit
Scrum verspricht:
- Transparenz
- Inspektion
- Anpassung
Und damit die Chance, echte Probleme zu erkennen, statt sie weiter zu ignorieren.
Fazit: Wenn Scrum Probleme zeigt, funktioniert es
Wenn Scrum Spannungen erzeugt, Reibung sichtbar macht und unangenehme Diskussionen auslöst, dann tut es genau das, wofür es gedacht ist.
Die entscheidende Frage ist nicht:
„Warum löst Scrum unsere Probleme nicht?“
Sondern:
„Was sind wir bereit zu tun, jetzt wo wir sie sehen?“
Denn Scrum zeigt Probleme.
Lösen müssen wir sie selbst.