Scrum Masterei ist fast wie Fliegen.
Wie beim Fliegen braucht es Gesetze (Prinzipien), Checklisten (Routinen), Ko-Piloten (Kollegen) und Lotsen (Mentoren), die einem beim Abheben und beim Landen helfen – sonst wird es gefährlich. Mit einer Ausnahme: Der Weg, Scrum Master zu werden, steckt im Gegensatz zur Pilotenausbildung noch in den Kinderschuhen. Scrum Masterei lässt sich nicht studieren und eine fundierte Ausbildung gibt es auch nicht.
In den letzten zehn Jahren habe ich mir das nötige Handwerkszeug Stück für Stück erarbeitet (und arbeite noch daran) – oft mühsam, manchmal durch Zufall, meistens durch Ausprobieren. Dabei hätte ich mir eines gewünscht: jemanden, der mir früh zeigt, worauf es wirklich ankommt.
Deshalb schreibe ich diesen Artikel – für dich, wenn du mit dem Gedanken spielst, Scrum wirklich meistern zu wollen.
Lass uns mit dem wichtigsten Schritt beginnen.
Schritt #1: Arbeite für ein Unternehmen, das wirklich Software liefert.
„Musst du etwas gemeistert haben, um es zu lehren?“
Über diese Frage wird viel diskutiert. Manche verweisen auf Professoren, die nur lehren, was sie selbst erforscht haben. Andere halten dagegen: Die besten Fußballtrainer waren selten Weltklasse-Spieler. Ich persönlich schließe mich dem „Professoren-Camp“ an – zumindest, wenn es um Scrum geht.
Erst als ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie ein Team Software auf Knopfdruck lieferte, habe ich wirklich verstanden, was mit Scrum möglich ist. Der prägendste Moment: Ein Entwickler setzte das Feedback eines Kunden um, stellte die Änderung live und der Kunde testete sie. Und all das direkt im Sprint-Review! Seit diesem Tag begriff ich: Scrum ist ein Werkzeug zur Risikominimierung – und echte Planbarkeit entsteht nur dort, wo Lieferung jederzeit möglich ist.
Das ist das erste Versprechen jeder agilen Transformation:

Wenn du Scrum meistern willst, musst du das einmal erlebt haben – sonst kannst du es nicht versprechen, oder? Du musst gesehen haben, wie ein Team auf Veränderung reagiert und sie zu seinem Vorteil nutzt.
Dafür braucht es nicht zwingend ein Scrum Team. Entscheidend ist: Du arbeitest in einem Umfeld, in dem Software regelmäßig und zuverlässig ausgeliefert wird.
Solltest du keine Möglichkeit haben, in einem Unternehmen zu arbeiten, das wirklich Software liefert, dann besuche wenigstens das „Applying Professional Scrum with Software Development“-Training von Peter. Dort siehst du, wie ein Team in spätestens drei Tagen lieferfähige Software entwickelt.
Schritt #2: Beobachte und lerne von einem erfahrenen Scrum Master.
Scrum Masterei ist keine Kunst, sondern ein Handwerk.
Und wenn du Schritt #1 gefolgt bist, dann solltest du dich mit Teams umgeben, die Software liefern können. Jetzt gilt es, zu lernen. Und das Erlernen jeder Fähigkeit beginnt mit Beobachten.
Hier einige Fragen, die du dir dabei stellen kannst:
Beobachte in Teams, ...
- ... wie sie mit unklaren Anforderungen umgehen: Werden sie gemeinsam konkretisiert oder einfach angenommen?
- ... welche technischen Praktiken sie nutzen, um regelmäßig zu liefern: Wird automatisiert getestet und integriert?
- ... wie Entscheidungen getroffen werden und wie das Team bei Meinungsverschiedenheiten vorgeht: Gibt es klare Prinzipien oder entstehen Konflikte?
Beobachte bei Scrum Mastern, ...
- ... wie er oder sie Vertrauen und Verbindung herstellt: Wird aktiv zugehört und Transparenz geschaffen?
- ... wann Lösungen vorgegeben werden und wann Raum entsteht, damit andere Lösungen finden können: Wer übernimmt Verantwortung?
- ... wie der Fokus des Teams in heiklen Situationen gelenkt wird: Werden Konflikte vermieden oder adressiert?
Beobachte bei Product-Ownern, ...
- ... wie er oder sie mit knappen Ressourcen umgeht: Wird priorisiert oder alles gleichzeitig versucht?
- ... wie wirtschaftliche Chancen und Risiken in Entscheidungen einfließen: Werden Annahmen explizit gemacht und überprüft?
- ... wie der Nutzen einzelner Product-Backlog-Einträge gegenüber dem Aufwand abgewogen wird: Gibt es Gespräche über „Wert“ und nicht nur den Zeitpunkt?
Als Scrum Master erfolgreich zu sein bedeutet, am Schnittpunkt von Technologie, Wirtschaftlichkeit und Gruppendynamik zu agieren.

Willst du ein erfolgreicher Scrum Master werden, dann beginne damit, von anderen zu lernen. Das beginnt mit dem Beobachten – wie bei jedem Handwerk.
Schritt #3: Starte deine Scrum Masterei zunächst nebenbei.
Wenn ich gefragt werde, wie man Scrum Master wird, rate ich erstmal jedem davon ab.
Viele können am Anfang ihrer Karriere noch nicht abschätzen, wie schwer diese Rolle wirklich ist. Was sie (noch) nicht sehen: Scrum Master arbeiten nicht direkt an der Wertschöpfung. Deshalb stehen sie ständig unter Beobachtung und müssen sich Fragen gefallen lassen, wie:
- Was ist eigentlich dein Beitrag?
- Welchen Wert hat deine Arbeit für das Unternehmen?
- Und wenn du nicht mehr da wärst – was fehlt dann wirklich?
Bei Entwicklerinnen und Entwicklern stellen sich diese Fragen kaum. Jedes Stück Code lässt sich potenziell verkaufen oder direkt abrechnen. Doch bei Prozessverbesserungen ist der Mehrwert nicht so offensichtlich:
- Wie genau steigern moderne Entwicklungsmethoden die Effizienz?
- Inwiefern verbessern regelmäßige Retrospektiven die Teamleistung?
- Und wie hilft es dem Unternehmen, wenn der Product-Owner endlich mit Kunden spricht?
Versteh mich nicht falsch: All diese Aktivitäten lassen sich in Euro übersetzen – aber eben nicht auf den ersten Blick.
Deshalb empfehle ich jedem, der mit dem Gedanken spielt, Scrum Master zu werden: Probier es erstmal aus.

Hier mein Vorschlag:
- Wähle eine typische Scrum-Master-Aufgabe, z. B.: „1 – Verantwortet die Effektivität des Teams“.
- Suche dir ein Team, das deine Unterstützung annimmt, etwa für eine Retrospektive.
- Führe diese Retrospektive durch.
- Reflektiere anschließend für dich:
- Was hat sich durch meine Begleitung für das Team verändert?
- Woran kann ich den Erfolg meiner Arbeit für das Unternehmen sehen?
- Hat mir die Arbeit Spaß gemacht?
Empirisches Arbeiten – was das Herz von Scrum darstellt – bedeutet zu experimentieren. Wie solltest du also deine Scrum-Master-Karriere starten?
Mit einem Experiment.
Schritt #4: Richte deinen Blick immer auf die gesamte Wertschöpfung.
Wenn du deine ersten Versuche als Scrum Master unternommen hast, dann hüte dich vor einem häufigen Fehler:
Viele Scrum Master verlieben sich in die Aktivität in ihrem Team. Sie lieben es, Retrospektiven durchzuführen. Sie leiten jedes Daily Scrum. Sie sind gerne Teil des Teams und stehen jederzeit für Fragen zu Scrum bereit.
Dieser reine Blick auf das Team ist allerdings nicht ausreichend. Erfolgreiche Scrum Master haben von Tag eins an den Blick für die gesamte Wertschöpfung und Entwicklung.
Ich muss gestehen: Die ersten Jahre meiner Karriere war Produktentwicklung für mich eine Blackbox. Der Knoten ist geplatzt, als ich unterschiedliche Modelle kennenlernte, die die gesamte Wertschöpfung aufzeigen.
Hier sind zwei, die mir besonders geholfen haben:
- Wirkmodell der Kellogg Foundation
- Geschäftsmodell-Gleichung
Betrachten wir das Wirkmodell im Detail – es vereinfacht Produktentwicklung auf fünf Faktoren:

- Inputs sind die Ressourcen, die wir in die Entwicklung investieren. Beispiele: Zeit, Budget, Teamkapazität, vorhandene Technologien, externe Expertise.
- Aktivitäten sind die konkreten Maßnahmen und Arbeitsprozesse, die wir durchführen. Beispiele: User-Research, Design-Workshops, Entwicklung von Features, Testen, Go-live durchführen.
- Outputs sind die greifbaren Ergebnisse der geleisteten Arbeit. Beispiele: ein neues Dashboard-Feature, ein verbesserter Onboarding-Prozess, ein überarbeitetes Interface, ein Release-Update.
- Outcomes beschreiben beobachtbare Verhaltensänderungen bei Nutzern durch den Output. Beispiele: 70 % der Nutzer nutzen das neue Dashboard täglich, 40 % schließen den Onboarding-Prozess schneller ab.
- Impacts drücken die Wirkung der Outcomes auf das Unternehmen aus. Beispiele: steigende Nutzerbindung, höhere Conversion-Rate, reduzierte Supportanfragen.
Kennen wir diese fünf Faktoren, lassen sich die Zusammenhänge zwischen ihnen analysieren – insbesondere in Bezug auf das Geschäftsmodell.
Ein gutes Geschäftsmodell lässt sich idealerweise als Gleichung beschreiben. Sonst ist es unmöglich, datenbasiert Verbesserungen vorzunehmen. Im Wesentlichen lässt sich jede Geschäftsmodell-Gleichung aus dem Zusammenhang „Gewinn = Umsatz – Kosten“ ableiten. Wenn du mehr darüber lernen willst, wirf einen Blick auf mein Video „Strategische Produkt-Ziele“. Dort erkläre ich es ausführlich.

Kennst du die Zusammenhänge, wie die Produktentwicklung in deinem Unternehmen funktioniert, und kannst du sie als Gleichung beschreiben, dann behältst du den Blick auf die gesamte Wertschöpfung.
Das bewahrt dich davor, als Scrum Master von Managern als Teammutti oder Scrum Sekretär belächelt zu werden – und es ermöglicht dir eine langfristige Karriere in dieser Rolle.
Schritt #5: Investiere in dein Netzwerk.
Viele Scrum Master besuchen Schulungen und Konferenzen, um Neues zu lernen.
Das habe ich auch lange so gemacht. Mittlerweile sehe ich das anders: Konferenzen, Meet-ups und Schulungen dienen in erster Linie dazu, neue Kontakte zu knüpfen – und nicht nur dazu, Inhalte zu konsumieren.
Halte selbst Vorträge. Sprich in der Kaffeepause Menschen an, die dich interessieren. Frag sie nach ihrer Erfahrung oder einem konkreten Rat.
Natürlich solltest du nicht gleich beim ersten Gespräch um einen Job bitten. Es geht darum, im Gedächtnis zu bleiben. Du willst die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass dein Name fällt, wenn irgendwann jemand nach einem fähigen Scrum Master sucht.
Hier einige Konferenzen und Meet-ups, die ich empfehlen kann:
- Scrum Day: Eine der etabliertesten Scrum Konferenzen im deutschsprachigen Raum. Ideal, um Gleichgesinnte zu treffen und mit Scrum Mastern in Kontakt zu kommen. Wird von Jean-Pierre Berchez und „Scrum Events“ organisiert.
- Agile Castlecamp: Ein community-getriebenes Barcamp mit inspirierender Atmosphäre. Perfekt, um dich aktiv einzubringen und tiefe Gespräche zu führen. Wird von Christian und Marc organisiert.
- PSM-3-Bootcamp: Eine Community, die gemeinsam ihre Scrum-Master-Fähigkeiten weiterentwickelt und sich auf die PSM-3-Prüfung vorzubereiten.
- ...
Wenn du anderen Scrum Mastern eine Schulung, eine Konferenz oder ein Meet-up empfehlen kannst, schreibe es in die Kommentare und hilf anderen sich als Scrum Master zu entwickeln.