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Wie vertrauensvoll ist die Horde der selbst ernannten „KI-Berater“ auf LinkedIn?

October 20, 2025

Immer häufiger lese ich „KI-Berater“, „KI-Coach“ oder „Chief AI Officer“ in Profilbeschreibungen bei LinkedIn. Jetzt frage ich mich:

Wie glaubwürdig sind diese „KI-Berater“?

Hier drei Beispiele, die mich zum Nachdenken bringen:

  • „KI begleitet mich seit meiner Diplomarbeit 1985.“
  • „10 Prompts, die dein Leben als Scrum Master verändern.“
  • „Seit ich mein Praktikum 2019 in KI-Automatisierung mit Excel gemacht habe ...“

Wenn ich so etwas lese, frage ich mich ernsthaft:

Ist jetzt jeder, der Programmieren mit Excel gelernt hat, vor 10 Jahren Informatik studiert oder seine Abschlussarbeit vor 1990 in Informatik geschrieben hat, qualifiziert, sich „KI-Berater“ zu nennen?

Und wenn ja:

Was bedeutet das für mich?

Meine Erfahrungen im Einsatz von KI sind im Vergleich zu dem, was ich auf LinkedIn lese, lächerlich:

  • Aktuell nutze ich ChatGPT und DALL·E mit einem Kunden, um Nutzerinterviews auszuwerten und Personas zu erstellen.
  • Vor einigen Jahren habe ich als Agile Coach ein Team begleitet, das einen Chatbot für den Kundenservice entwickelte.
  • Für das „PSM-3-Bootcamp“-Produkt von Marc und mir arbeite ich gerade an einem KI-Feature namens „AI-Trainer“.
  • Alle Automatisierungen in meinem Ein-Mann-Unternehmen hat Claude programmiert.
  • Und diesen Text hat – neben einem Menschen – auch ChatGPT Korrektur gelesen.

Darf ich mich auch KI-Berater nennen? Oder die wahrscheinlich entscheidendere Frage für meine Karriere:

Sollte ich mich auch KI-Berater nennen?

Was ist, wenn der „KI-Berater“ der Agile Coach von 2020 ist und bald vom World Economic Forum zum „Top-Job von morgen“ gekürt wird? Wenn jedes Unternehmen KI-Berater einstellt, ich mich aber weiterhin nur Scrum Master oder Scrum Trainer nenne, dann kann ich kein Kapital aus diesem Boom schlagen und gehe leer aus.

Was ist das Problem mit „KI-Beratern“ im Moment?

Mein Problem ist:

Ich kann es nur wenigen Beratern wirklich abkaufen, dass sie sich mit KI auskennen und Erfahrung haben. Vielleicht können sich Sam Altman oder Dario Amodei KI-Berater nennen, oder jemand, der bei OpenAI oder Google forscht und entwickelt. Aber auch das ist doch eigentlich fragwürdig.

Denn die Ergebnisse und die Auswirkungen, die KI hat, sind (noch) nicht wirklich vorhersehbar. Das bekannteste Beispiel für diese Unvorhersehbarkeit ist wahrscheinlich die diskriminierende Tendenz einiger KI-Modelle:

  • Im Jahr 2015 klassifizierte Google Photos Menschen mit schwarzer Hautfarbe fälschlich als „Gorillas“.
  • 2024 musste Google Gemini die Personen-Bildgenerierung pausieren, nachdem historisch unzutreffende und verzerrte Darstellungen Schlagzeilen machten. Google entschuldigte sich offiziell, dass Wehrmachtssoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg als Schwarze generiert wurden.
  • Eine MIT-Studie von 2024 zeigt: In Situationen, in denen Menschen online über seelische Belastungen schreiben, fielen die von GPT-4 erzeugten Empathiewerte für Beiträge Schwarzer und asiatischer Nutzer signifikant niedriger aus als für weiße bzw. nicht klassifizierbare Nutzer.

Was bedeutet das für den Wert eines „KI-Beraters“?

Worin besteht der Wert eines Beraters?

Er hat ein bestimmtes Problem bereits erfolgreich gelöst und hilft jetzt anderen, dieses Problem auf die gleiche Weise zu lösen. Sprich: Er kann vorhersagen, was das Resultat seiner Arbeit sein wird. Das Unternehmen profitiert von der Erfahrung des Beraters bei der Lösung dieses Problems und erhofft sich dadurch, das Resultat schneller, günstiger und mit weniger Fehlschlägen zu erreichen.

Nur: Welches Problem lässt sich mit KI lösen? Und wer hat es bereits erfolgreich gelöst? Welches Resultat lässt sich mit dem Einsatz von KI versprechen? Vielleicht die digitale Transformation eines Unternehmens? Oder die Entwicklung und das Management von Produkten?

Das Problem ist nur, dass sich das Resultat heute noch schwer voraussagen lässt. Prozesse können durch Digitalisierung verschlankt und kostengünstiger gemacht werden. Es kann aber auch zu einem Imageschaden führen, wenn das Unternehmen nach der Beratung als diskriminierend wahrgenommen wird.

Ich frage mich:

Sollte ich als Scrum Trainer meinen Kunden auch ein KI-Training anbieten? Agile Transformationen sind häufig auch Bestandteil der digitalen Transformation. Und der Zweck von Scrum ist es, effektiv Produkte zu entwickeln. Das würde schon mal passen.

Und:

Für wen wäre ein KI-Training?

Diese Antwort ist verblüffend einfach.

Lenny Rachitsky bringt es im Gespräch mit CEO Howie Liu von Airtable mit dieser Frage auf den Punkt:

„Nutzt der CEO eines Unternehmens ChatGPT oder Claude.ai täglich?“

Und damit hat er wohl recht. Hier einige Beispiele von Unternehmen, in denen der CEO KI zur Chefsache gemacht hat:

  • OpenAI: Sam Altman liest keine langen E-Mails – und wenn doch, dann lässt er ChatGPT sie für ihn zusammenfassen. Und das ist nur eines der Beispiele, wie er KI tagtäglich nutzt.
  • Shopify: In einem internen Memo schrieb der CEO Tobi Lütke: „Teams müssen darlegen, warum KI eine Aufgabe nicht ausführen kann, bevor sie mehr Personal und Ressourcen beantragen dürfen.“
  • Amazon: Der aktuelle CEO Andy Jassy erklärt in einem Bericht an die Shareholder, dass generative KI zur strategischen Priorität des Unternehmens wird und begründet massive Infrastrukturinvestitionen (Chips, Rechenzentren).

Für alle anderen Unternehmen sind Schulungen in KI wahrscheinlich zwingend notwendig.

Wie sollten diese Schulungen aussehen?

Auf keinen Fall sollte sich der Berater als Guru vorstellen und so tun, als hätte er KI quasi 1985 in seiner Diplomarbeit erfunden.

Der Erfolg einer KI-Schulung liegt aus meiner Sicht darin, dass das Resultat der Schulung auch ehrlich kommuniziert wird.

Aus meiner Sicht sind die Schulungen eher eine Spielwiese, um gemeinsam auszuprobieren, in welchen Bereichen der Einsatz von KI hilfreich sein kann. Der Trainer hilft den Teilnehmenden, sich auf ein Ziel zu konzentrieren, und bringt alle Werkzeuge und Tools mit, um gemeinsam zu probieren, inwieweit KI bei der Erreichung des Ziels unterstützt. Im Beispiel des „Professional Scrum Product Owner™ – AI Essentials“-Trainings ist das Ziel, den Einsatz im Produktmanagement kennenzulernen.

Es geht am Ende darum, die Spielwiese zu nutzen.

So rät es auch Ethan Mollick, Professor für Management an der Wharton School der University of Pennsylvania, in seinem Buch „Co-Intelligence“.

Die erfolgreiche Nutzung von KI fußt auf vier Prinzipien:

  • Beziehe KI immer mit ein.
  • Bleibe der „Human in the Loop“.
  • Behandle die KI wie einen Menschen, aber sage ihr nicht, was für ein Mensch sie ist.
  • Gehe davon aus, dass dies die schlechteste KI ist, die du jemals nutzen wirst.

Besonderes Augenmerk sollten wir hierbei auf das vierte Prinzip legen:

„Wir sollten uns immer bewusst sein, dass die heutige KI die schlechteste ist, die wir jemals nutzen werden.“

Jetzt wage ich mal eine Prognose:

  • Ist KI Chefsache, können auch schnell echte Resultate (eingebaute Assists, automatisierte Workflows, neue Produktfunktionen) entstehen und es werden interne Kompetenzen aufgebaut.
  • Ist dies nicht der Fall, dann helfen Trainings, Workshops und KI-Arbeitsgruppen, um Fragen zu identifizieren, die von KI profitieren können – aber es bleibt eine Vorstufe.
  • Ohne eines von beidem sehe ich eher schwarz.

Denn wir dürfen nicht vergessen:

Ob wir es als sinnvoll erachten, KI in der Produktentwicklung einzusetzen, oder nicht, wird am Ende nicht von uns entschieden.

Irgendwann werden es unsere Kunden einfach erwarten.

Es wird ein Basisfaktor des Produkts sein.

Und wenn du mir nicht glaubst – hier ein Beispiel von Gmail, das ich auf den ersten Blick sehe:

  • „Gemini fragen“
  • „Formulier für mich“-Vorschlag
  • Gemini-App
  • NotebookLM-App
  • usw.

Ich zähle mindestens vier Funktionen, die KI nutzen und mich als Nutzer an KI heranführen sollen. Und je mehr Apps diesem Trend folgen, desto mehr normalisiert sich die Erwartung aller Nutzer. Und wenn dein Produkt heute keine KI-Funktionalität anbietet – werden die Kunden es irgendwann erwarten und enttäuscht sein, wenn es diese Funktion nicht gibt.

Ich nenne es mal den Kano-Effekt:

Was heute noch begeistert, wird morgen zum Basisfaktor.

Ähnlich wie du dir heute wahrscheinlich kaum noch vorstellen kannst, physische Tasten zu drücken, um eine Nachricht auf deinem Telefon zu verschicken.


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